Alle Geschichte hat ihre Anziehungskraft verloren, wenn der Mensch durchschaut, dass sie ein Stückwerk ist, dessen Stücke austauschbar sind. Wahres wird somit relativ und zeigt sich oft gedankenlos, doch dafür fühlbar echt. Auch die Angst vor dem Tod ist eine Geschichte, die man selbst gestaltet, in einem passenden Alter hinter sich lässt, oder auch der Erde übergibt. Derart passierte es mir. Seitdem macht sich eine Gewissheit in mir bemerkbar, dass das unendlich währende Leben, dem lebendigen Menschen – durchaus wahrhaft erfahrbar sein kann. Und dies, ganz ohne technische Hilfsmittel oder pharmazeutische Wunderkur. Zumindest wurden mir, (Und ich bin ein Mensch, der mit derartigen Erfahrungen nicht allein auf Erden weilt) mehrere deutliche Einblicke in das Unbegreifliche geschenkt. Seltsamerweise überwiegend in Momenten des abgrundtiefen Erschreckens sowie auch der unendlichen Leere und Aussichtslosigkeit. Dies alles sind Erfahrungen, die unvergesslich merkwürdig erscheinen und haften bleiben, weil derartige Erinnerungen ebenfalls von Herz sowie Seele, freudvoll umarmt und gehalten werden.
Ich bin genauso oft gestorben, wie ich wieder auferstand. Immer ließ ich, dem Unbekannten folgend, etwas hinter mir, was nicht mehr meines war. Mit dem Schichten der Jahre in dem mir geschenkten Leben, nahm das Mein beständig ab. Eines Tages ward ich dann im Geiste irgendwie nackt, lediglich das ‚Ich bin‘ blieb, alles Mein ging und nahm gar vielerlei Bedürfnis mit sich. Und so lebte ich in der mein*armen Zeit derart frei in Sinn und Dasein, wie zuvor kaum vorstellbar. Ungeahnt und unerwartet hatte ich eine Welt, ein Leben betreten, in dem es keine andere Sehnsucht gab, außer der einen, leben, wissen und lieben.
Wenn man wünscht, ewig zu leben, dann kann man bewusst im Gegenwärtigen dafür alle Weichen stellen, welche im unendlichen Abenteuer des Lebens, sicher und geborgen durch das Verborgene leiten. Mehr als drei Jahrzehnte nahm ich für mich an, dass das Wissen die beste Weiche sei, um alle Kreuzungen des Lebens mit Achtsamkeit zu überschreiten. Doch ich irrte mich, denn wahrhaft ist es das Leben selbst, welches erst alle Wahrnehmung von Wissen ermöglicht. Und es dämmerte mir, welch ein Segen sich darin ausdrückt, dass wir in den ersten Jahren unseres Lebens anscheinend unwissend sind. Denn wo wären wir, hätten wir gewusst? Daraus schlussfolgerte ich, dass jeder Mensch stets so viel weiß, wie er innerlich verkraften, nutzen und verstoffwechseln kann. Dies ist mir eine Gewissheit geworden, denn sonst wäre ich nicht mehr.
Allein die Geburt, welch ein Grauen für den Unerfahrenen. Dann sind da auch noch die grünen Riesen im Kreissaal, ganz modern mit Mütze und Sehschlitz ausgestattet, die das Menschlein in das ihm Unbekannte ziehen, in einen Raum voller Geräusch, Geruch und Unnahbarkeit. Nö, einmal genügt, und wer weiß schon, wie viele von uns überhaupt noch am Leben wären, hätten wir bereits als Säuglinge mit den Eltern diskutiert. Eltern sind auch Menschen. Ein Wissen, was mir erst relativ spät in die Wahrnehmung fiel und sich als außerordentlich hilfreich erwies, vereinzelte Wogen in meinem Leben zu glätten.
Still ruht der See und die Sonne spiegelt sich nun in ihm. Nur ich und Gott allein sind „schuld“ daran, dass ich bin und auch am – wie. Meine Eltern können nichts dafür, haben nur mitgespielt – in dem rätselhaften Plan des Göttlichen. Mehr konnten sie gar nicht für mich tun, gaben mich in das Leben, und ich bin dankbar nun in Geist und Herz.
Der Mensch ist mit hoher Wahrscheinlichkeit sein eigenes Abenteuer. Und so sehnen wir uns – nach uns selbst, wenn wir den Abenteuern anderer Menschen zuschauen, darüber lesen und uns in die Welt einfühlen können, welche der Andere bereist. Ich sehe es stets wie einen Film in mir, mit welcher Begeisterung das kleine Menschlein in sein Leben wächst. Nichts weiß es, dennoch kann und lernt es alles – überwiegend mühelos und schadfrei. Lernen bewirkt ursprünglich Freude, weil es ja gleichfalls Weiterentwicklung mit sich bringt. Über Erfolg wird da noch nicht nachgedacht, auch nicht über die Möglichkeit des Scheiterns. Das Kindhafte wiederholt, erkundet, fühlt sich ein, bis es kann. Dabei wird so viel gelächelt, mit den Händen gespielt und unverständlich gesprochen, wie nie wieder danach. Doch es funktioniert, unwissend erwächst – was von Beginn an lebensfähig ist. Selbstverständlich braucht auch das Baby Nahrung, doch verdauen und innerlich anwenden, um Wachstum zu bewirken, das tut sich in ihm von selbst.
Und dennoch will der Mensch es besser machen, jenes, was schon vollkommen ist. Ein Mensch – wie ich zum Beispiel, der jahrzehntelang gegen sich und das Leben rebellierte, weil ich glaubte, es besser zu wissen, im Recht zu sein und es als normal empfand, aktiv im Widerstand gegen alle Unwissenheit mitzuwirken. Dabei trieb mich ein Gefühl im Inneren an, das sich nie ganz ergreifen ließ und wieder verschwand, wenn ich es hinterfragen wollte.
Vor einigen Tagen ist mir nun ein Licht zugefallen und es leuchtet immer noch. Liegt als Lächeln in meinen Gesicht und strahlt durch die Augen, sodass ich mich kaum vor die Tür traue. Eigentlich will ich auch gar nicht, es ist so kalt da Draußen. Im Inneren ist es auch schön mit mir hier allein, und der Blick durch das Fenster, landet im Grünen und sieht die Primeln blühen, ein Wollen ist da nicht. Soll ich mich jetzt schämen, für diesen kleinen Egoismus, vom unerwarteten Glück nichts abgeben zu wollen? Doch glücklich zu sein, ohne erklärbaren Anlass, gilt mancherorts bereits als gestört und muss amtsärztlich untersucht und behandelt werden. Wahrscheinlich wegen der möglichen Ansteckungsgefahr und den daraus eventuell folgenden Umsatzeinbrüchen. Der Geist kann so witzig sein, ich liebe ihn und auch das ist ein Glück.
Das System im und um den menschlichen Körper ist wahrhaft vollkommen, und das in mir ansässige, vergleichende, wünschende, verdammende, widerspenstige und gar fordernde Ich, ist der tatsächliche Störteufel darin. Denn alles, wogegen ich sein kann, sind genau betrachtet stets nur Geschenke an mich, die ich irgendwann mal mit Gedanke und auch Blick orderte und dies dann vergaß. Die Liste der Forderungen und Wünsche war lang, da mir die Zeit zu flüchtig anschien, um bescheiden zu sein. Das hat sich schleichend verändert. Gegenwärtig ist die Liste öfter nur blank sowie jeder Augenblick stets derart weit und mit Schönem erfüllt, wie ich es selbst still in Kopf und Herz bewillige.
Viele meiner sehr menschlichen Wünsche, offenbarten in ihrer Erfüllung auch eine Schattenseite, die ich zuvor nicht einsehen konnte. Der Hauptschatten lag darin begründet, dass letztendlich alle Vorstellung unvollkommen und darüber hinaus auch noch vergänglich ist. Als Mensch sehe ich nur mein Wunschpanorama, was daran anschließt, lerne ich erst im Erfahren kennen, genauso wie mich selbst darin. Kann ich alles im Gewünschten akzeptieren, also auch dessen schattige Ausläufer, kann ich ohne zu Murren in einer Situation weiteratmen, einfach nur da Sein, da es nun mal so ist, reicht mir das Leben die Hand und zieht mich da raus, wo ich nichts mehr zu suchen hab. Dies passiert jedes Mal in mir stets unvorstellbarer Art. Gebe ich keinem die Schuld, auch nicht mir selbst, ist die Suche beendet und das Wahrhafte kann in den Vordergrund treten. Wahrgenommen werden, jederzeit und überall, insbesondere dann, wenn man ganz still in sich ist, nur fühlt und lauscht, was im Menschen wirkt.
Dieses Wahrhafte ist die Essenz unseres Daseins. Die Person allein kann nicht weitergehen, stets benötigt sie die Unterstützung, den Halt des Wahrhaften. Denn ohne Wahrhaftigkeit wäre der Körper gar nicht imstande, sich im Raum zu orientieren. Dem Ich im Körper kann die Orientierung an diesem genügen, doch der Körper ist ein Gemeinschaftswerk der Sinne, Gefühle, Gedanken und Vorstellungen des Menschen. Was ein Ich – in all deren Fülle und Funktionalität – gar nicht überblicken kann. Diese Gemeinschaft arbeitet in vollkommener Harmonie zusammen, um der Seele und natürlich auch jenem von ihr abtrünnigen Teilchen, welches man nach Menschenart mit dem Ich bezeichnet, eine wohlhabende Heimstatt auf Erden zu ermöglichen.
Das Ich allein – hat gar keine Fähigkeit. Es eignet sich diese durch Beobachtung, Denken und nachahmen an. Das Ich hat auch keine Arme, es ist der menschliche Körper, welcher uns diese zur Verfügung stellt und nutzbar macht. Und wenn ein Ich zu einem anderen Ich drohend sagt, dass es dem Anderen gleich Beine macht, dann ist das eindeutig Größenwahn.
Doch keinesfalls sei hier angeregt, dieses uns so vertraute Ich, in irgendeiner Form zu knechten oder gar klein zu machen. Das Erfahren von Liebe, also wie es ist, wahrhaft zu lieben, beginnt im Innersten des Menschen, durch alles Sein lassen dessen, was ihn berührt. So, wie ich dem Kind durch Güte, den Weg in das Leben heiter ebne, so kann ich dies ebenfalls – auch mit dem Ich in mir tun. Dann beginnt es mich – das Stille – zu mögen, schmiegt sich stetig öfter an die Seele und hüpft nur noch selten und dies ohne Ausdauer – auf einen ausgetretenen oder engstirnigen Weg.
https://gotteslieblingmensch.com/2018/03/17/standort-klaeren/
Antworten