Wissenschaftliche Revolutionen prĂ€gen in wachsendem MaĂe die Landschaft der nach-Newtonâschen Welt des 21. Jahrhunderts. Die Konzeption von Raum, Zeit, KausalitĂ€t, Entwicklung und andere grundlegende Kategorien der modernen materialistischen Welt brechen zusammen, zersetzt durch die Funde einer neuen und mehr spirituellen Wissenschaft, die in Dutzenden von Feldern auftauchen. Diese neuen Entdeckungen machen eine Neuorientierung darĂŒber notwendig, wie wir uns die VerĂ€nderung unserer Gesellschaften vorstellen und wie wir eine neue Welt gestalten können.
Man betrachte die Welt der Schmetterlinge.
Norie Huddle beschreibt in ihrem Buch in der poetischen Sprache eines Laien, wie sich die Raupe in einen Schmetterling verwandelt.
âDie neuen Zellen des Schmetterlings [nachdem er sich verpuppt hat] – werden imaginale Zellen (âimaginal cellsâ) genannt. Sie schwingen in einer anderen Frequenz.** Sie sind so total verschieden von den Zellen der verpuppten Raupe, das deren Immunsystem sie als feindlich betrachtet und … vertilgt … Aber diese neuen Zellen fahren fort sich zu bilden, es werden immer mehr!
Schon bald kann das Immunsystem der Puppe sie nicht mehr schnell genug zerstören. Mehr und mehr dieser Zellen ĂŒberleben.â
âUnd dann passiert etwas Erstaunliches! Die winzigen kleinen vereinzelten Zellknospen klumpen zusammen, in befreundeten kleinen Gruppen. Sie schwingen alle in der gleichen Frequenz zusammen und tauschen Informationen untereinander aus. Dann nach einer Weile geschieht noch etwas Erstaunliches! Die Klumpen der Imago-Zellen ballen sich zusammen! … Eine lange Kette sich zusammenklumpender und zusammenballender Schmetterlingszellen, alle in der gleichen âSchwingungâ, alle beteiligt am Informationsaustausch untereinander innerhalb der Schmetterlingspuppe.â
â⊠Dann an einem bestimmten Punkt, bemerkt die ganze lange Kette von Imago-Zellen plötzlich, dass sie etwas darstellt. Etwas, das sich von der verpuppten Raupe unterscheidet. Etwas Neues! Etwas Wunderbares!
⊠und in diesem Gewahr werden ist der Geburtsschrei des Schmetterlings enthalten!â ââŠJede neue Schmetterlingszelle kann nun eine unterschiedliche Aufgabe ĂŒbernehmen. Es gibt fĂŒr jede etwas zu tun und jede ist wichtig. Und jede Zelle fĂ€ngt an, gerade das Bestimmte zu tun, wozu sie am meisten hingezogen wird. Und jede andere Zelle ermutigt sie, gerade das zu tun. Ein groĂartige Methode, einen Schmetterling zu gestalten!
Und eine groĂartige Weise, eine Schmetterlingsbewegung zu organisieren!â
Diese Verwandlung der Raupe in den Schmetterling ist ein groĂartiges Bild fĂŒr die gesellschaftliche Umgestaltung. Die Menschen, die wach werden fĂŒr neue Möglichkeiten, sind in einer bestimmten Beziehung wie die imaginalen Zellen ihrer eigenen Gesellschaft. Der Prozess der gesellschaftlichen Transformation beginnt mit dem Auftauchen dieser Individuen, die die Samen der Zukunft mit sich fĂŒhren. Sie sind âimaginalâ dadurch, dass sie in ihrem Erneuerungsstreben ein Bild der Zukunft ihrer Gesellschaft in sich tragen.
Diese innovativen Individuen, diese ZukunftstrĂ€ger werden zu âAbweichlernâ in ihrer Gesellschaft. Sie werden nicht als diejenigen anerkannt, die das Gute bringen. Stattdessen werden sie als Störenfriede attackiert, Zerstörer der selbstzerstörerischen Gewohnheiten der alten Gesellschaft (der Puppe), die fĂŒr eine oberflĂ€chliche Betrachtung als das âgute Lebenâ erscheint.
Im Extremfall werden die Störenfriede getötet. Kennedy, King, Gandhi, Rizal, Bonifacio, Javier, Aquino, und viele andere wurden getötet, weil sie eine Gefahr fĂŒr das System darstellten. Das Auto-Immunsystem der alten Gesellschaft versucht(e), diese VisionĂ€re los zu werden.
âDiese gewalttĂ€tigen Reaktionen können jedoch das Auftauchen von immer mehr âimaginalenâ Individuen in der Gesellschaft nicht verhindern. Bald bilden diese gemeinsam die vielfĂ€ltigen Bewegungen, die fĂŒr eine bessere Gesellschaft kĂ€mpfen – die Umweltbewegung, die Bewegung fĂŒr ökologische Landwirtschaft, die Jugendbewegung, die Frauenbewegung, die Bewegung der indigenen Völker, die der stĂ€dtischen Armen, die weltweite Demokratiebewegung, die Bewegung fĂŒr eine neue Erziehung, die spirituelle Bewegung und so weiter.
Dieses Stadium ist jedoch nicht ausreichend. Die verschiedenen Bewegungen, die jetzt die verschiedenen Zukunftsmöglichkeiten verkörpern, mĂŒssen lernen, zusammenzuwirken und die IdentitĂ€t und die BeitrĂ€ge der jeweils anderen zu ermutigen und zu verstĂ€rken.
Die soziale Erneuerung wird nur kommen, wenn die verschiedenen IdentitĂ€ten lernen, Synergie untereinander zu erzeugen, denn in diesen Synergien zeigt sich oft die Gestalt der zukĂŒnftigen Gesellschaft, die zur Erscheinung drĂ€ngt.
Es gibt noch einen anderen Aspekt von all dem. Man wird bemerken, dass im FrĂŒhstadium die Verwandlung der Puppe in den Schmetterling Ă€uĂerlich nicht sichtbar ist. Stattdessen wird man sehen, dass die verpuppte Raupe sich selbst gewissermaĂen zu einer Art FlĂŒssigkeit âverdautâ hat. Der Zustand des biologischen âChaosâ hat eingesetzt. Dieses Chaos hat jedoch nichts mit unserer modernen Konzeption des Chaos zu tun, in der wir es mit Unordnung gleichsetzen. Dieses âChaosâ ist das griechische Chaos, in dem die Potenziale fĂŒr eine neue Ordnung verborgen sind und darauf warten, sich ausdrĂŒcken zu können.
Aus diesem Chaos ersteht der Schmetterling.
So ist es auch im Allgemeinen in der Gesellschaft. Wir sehen Chaos ĂŒberall. Wir können darauf auf zweifache Weise antworten. Wir können uns beklagen und uns durch ein GefĂŒhl der Hoffnungslosigkeit selbst entmutigen. Oder wir können es als ein Ă€uĂeres Symptom dafĂŒr betrachten, dass die alte Ordnung im Zusammenbruch begriffen ist und darauf wartet, auf eine höhere Ebene der KomplexitĂ€t und der Ordnung gehoben zu werden.
Eine der wirkungsvollsten Weisen, die Möglichkeiten des Chaos zu nutzen, besteht darin, die âimaginalenâ Individuen zu identifizieren, die in sich verschiedene Aspekte der Zukunft tragen. Oft sind das die Individuen, die unter höchst widrigen UmstĂ€nden eine hervorragende und begeisternde Arbeit leisten. Wir mĂŒssen den Blick entwickeln fĂŒr die verborgenen Beziehungen, die unsichtbaren Muster, die all die verschiedenen Initiativen miteinander verbinden und fĂŒr jeden einzelnen Beteiligten einen Weg finden, dass auch er das Ganze sehen lernt.
Hier bemerken wir etwas Bedeutsames. Moderne materialistische Wissenschaft gerĂ€t in Verlegenheit, wenn sie die planmĂ€Ăige, kohĂ€rente und kĂŒnstlerisch begeisternde Metamorphose der Raupen in die Schmetterlinge erklĂ€ren soll. Sie kann nicht ergrĂŒnden, wie ein neues Niveau in Organisation und Erscheinung aus einem BĂŒndel genetischer Programme erwachsen kann, von denen einige dann in der Organisationsform des Schmetterlings ĂŒberflĂŒssig werden. Eine höhere Form von Intelligenz, ein âmorphisches Feldâ ist offenbar in diesem Prozess am Werk.
In der Natur wirkt der wunderbare Prozess der Verwandlung in einer nahtlosen Weise, quasi vollautomatisch. In der menschlichen Welt geschieht dies nicht. Die menschliche Intelligenz und der menschliche Wille mĂŒssen die Prozesse der Verwandlung vom Raupen- zum Schmetterlings-Stadium der Gesellschaft verstehen und aktiv vorantreiben. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, dies zu tun. Eine der einfachsten und am meisten Kraft schenkenden besteht darin, die Grundlinien der inspirierenden Ideen und Innovationen zu erkennen, die Gesellschaften im Ăbergang prĂ€gen. Diese âpositive Kartographieâ ergibt fĂŒr diejenigen, die die Gesellschaft erneuern wollen, einen ersten Ăberblick, wie der Genius und die positiven Lebensenergien dieser Gesellschaft sich bewegen und flieĂen. Die Wahrnehmung der Ă€uĂerlich unsichtbaren Bildgestalt und RealitĂ€t der zukĂŒnftigen Gesellschaft wĂŒrde es den âimaginalenâ Individuen und Bewegungen ermöglichen, ihre Ressourcen und Talente in einer strategischen Allianz fĂŒr das gröĂere Wohl der Gesellschaft zu vereinigen.
Sie verbinden sich mit all dem, was lebendig und verwandlungsfÀhig in der Gesellschaft ist, und nicht mit dem, was sich bereits im Absterben befindet.
Es gibt noch einen anderen Aspekt des Schmetterlings, der uns aus dem Reich der Metaphern in das Reich der Wissenschaft fĂŒhrt. Es gibt den sogenannten Schmetterlings-Effekt in der neuen Wissenschaft des Komplexen, in der Chaos-Theorie. Wir hören oft, dass ein SchmetterlingsflĂŒgelschlag Wettererscheinungen rund um den Erdball beeinflussen könne. Kleine VerĂ€nderungen, an der richtigen Stelle, können zu einer Kaskade fĂŒhren und Wirkungen im groĂen MaĂstab nach sich ziehen.
1969 sagte Margaret Mead: âZweifeln Sie nie daran, dass eine kleine Gruppe nachdenklicher und engagierter BĂŒrger die Welt verĂ€ndern kann. In der Tat: das ist das einzige, was sie je verĂ€ndert hat.â Sie stellte sich damals nicht vor, dass nur ein Jahrzehnt spĂ€ter ihre historische Analyse empirische UnterstĂŒtzung durch naturwissenschaftliche Studien in der Form der neuen Wissenschaft der KomplexitĂ€t erhalten wĂŒrde.
Gesellschaftliche Transformation im 21. Jahrhundert muss auf die Herausforderungen und Chancen dieses Jahrhunderts gegrĂŒndet sein. Soziale Bewegungen, die VerĂ€nderungen auf der Grundlage der anachronistischen Ideen des Materialismus des 19. Jahrhunderts zu erreichen versuchen, sind dazu verdammt, fĂŒr die Gesellschaft mehr Schaden als Gutes zu stiften. Soziale Bewegungen, die innovativ, gegenwartsbezogen und klug die Wege des Wissens des 21. Jahrhunderts beschreiten, haben eine bessere Chance, sich den groĂen und langfristigen spirituellen und sozialen Herausforderungen zu widmen, vor denen die Menschheit heute und in den kommenden Jahrzehnten steht.
Auszug entnommen aus:
Sozialimpulse 1/06
Der âSchmetterlingsEffektâ und die gesellschaftliche Umgestaltung
von Nicanor Perlas
Ăbersetzung aus dem Englischen:
Christoph Strawe
Vorbemerkung: Der folgende Aufsatz von Nicanor Perlas wurde im Februar auf den Seiten von TruthForce  (www.truthforce.info) veröffentlicht und hat, wie der Autor uns mitteilt, auf den Philippinen auĂerordentlich groĂe Resonanz gefunden; er wird von Hand zu Hand weitergereicht. Dies muss im Zusammenhang mit der Situation im Lande gesehen werden – mit dem Aufschwung der Zivilgesellschaft, wie er sich bei der letztjĂ€hrigen Karangalan-Konferenz widerspiegelte*, und mit der Auseinandersetzung dieser Zivilgesellschaft mit der Staatsmacht. Die Zivilgesellschaft wirft der PrĂ€sidentin Gloria Arroyo seit lĂ€ngerem Wahlmanipulation und Korruption vor und fordert ihren RĂŒcktritt. Ende Februar hatte diese daraufhin – begrĂŒndet mit einer angeblichen Verschwörung – den Ausnahmezustand ausgerufen, was Festnahmen ohne Haftbefehl und lĂ€ngere Inhaftierungen ohne Anklage ermöglichte. Auch wenn Anfang MĂ€rz der Notstand zunĂ€chst wieder aufgehoben wurde, erinnern die VorgĂ€nge an die VerhĂ€ngung des Kriegsrechts durch Marcos 1972. Besorgnis erregend ist auch die Situation in der Armee. Zivilgesellschaftliche Aktivisten wie Nicanor Perlas brauchen in dieser gefĂ€hrlichen Situation mehr denn je unsere SolidaritĂ€t in ihrem Ringen um eine gewaltfreie VerĂ€nderung.
* Vergl. Nicanor Perlas: Die Karangalan-Konferenz auf den
Philippinen – ein groĂer Erfolg. In: Rundbrief Dreigliederung des
sozialen Organismus, Heft 1/2005.
***
Sowie Teilauszug aus Newslichter 6/16
Eine Analogie auf unsere Zeit
Ăberall auf der Welt entstehen derzeit Imagozellen, zunĂ€chst einzelne Menschen, die sich dann in Gruppen zusammentun und, von den verschiedensten persönlichen, politischen, ökonomischen, ökologischen Anliegen getrieben, eine anderes âDaseinâ anstreben. Geseko berichtet von derzeit ĂŒber 10 Millionen Initiativen weltweit, die an einer âneuen Weltâ basteln. Und tĂ€glich werden es mehr.
Ihnen ist der âgroĂe Planâ meist nicht bewusst, dass es darum geht, einen groĂartigen Wandlungsprozess zu initiieren, zu tragen und zu gestalten, der etwas völlig Neues, heute noch Undenkbares hervorbringen wird. Doch durch die weltweite Vernetzung wird es immer mehr Menschen bewusster, und diejenigen, denen es bewusst wird, verzichten bewusst darauf, das Neue benennen zu wollen.
So muss sich jede/r selbst herausfinden, welche Form von Imagozelle er/sie sein könnte, welchen Platz sie/er im âSchmetterlingssystemâ einnehmen wird (ein Farbtupfer z.B.).
Jeder einzelne muss sich krÀftigen, um dem Raub(pen)system zu widerstehen, Krisen sind hier an der Tagesordnung, Zweifel, Angst, Verlassenheit ebenso.
Hier gilt es auch dem ânĂ€hrendenâ, wenn auch fĂŒr die Imagos zerstörerischen Raubsystem, WĂŒrdigung entgegenzubringen. Der Niedergang dieses Systems kann auch als mythisches Opfer betrachtet werden, auch das beharrende Alte, der Schatten, muss als Erinnerung mitgenommen werden in die leuchtend-farbige luftige Zukunft.
Vielleicht sind viele von uns stark damit beschĂ€ftigt, als Imagozelle ĂŒberhaupt zu ĂŒberleben. Die Zeit der Vernetzung wird aber kommen und diese wird womöglich auf ganz anderen Wegen erfolgen, als wir uns das heute vorstellen.
Sie wird von selbst passieren.
Und bis dahin vergissâ nicht: Im Kokon ist es einsam.
Initiativen findest du im Internet unter dem Suchbegriff: FĂR EINE BESSERE WELT
https://www.fuereinebesserewelt.info/ueber-uns/
Bildquelle / Creative Commons / https://stock.adobe.com/de/
Vielen lieben Dank fĂŒr deinen Werteausgleich …