Anja Reiche: „Ich stehe heute hier voller Leben, weil ich bereit war, zu sterben.“

Wie oft wurde mir gesagt, dass man es auch übertreiben kann mit dieser Selbstfindung, dass ich doch endlich aufhören soll, ständig „in alten Geschichten rumzuwühlen“, dass es ja irgendwann mal gut sein muss, mit fühlen und durchdringen und die Dinge verstehen wollen, dass man sich damit auch verrückt machen kann. Wie oft…

Wie oft hat man mir gesagt, dass ich mich auch mal wieder um die „normalen“ Dinge und das „normale“ Leben kümmern muss, arbeiten und so. Zurückkehren zum Alltag und die Dinge auch mal gut sein lassen muss.

Echt? Muss ich das? Musste ich das? NEIN! Was ist denn dieser Alltag, zu dem ich hätte zurückkehren sollen? Was ist denn dieses Normale? Ich sollte funktionieren und die anderen nicht unnötig damit beunruhigen, dass ich Fragen stelle, dass ich Dinge in Frage stelle, dass ich es anders mache, dass ich nicht den scheinbar „leichten“ Weg des Funktionierens wähle, sondern mir die Mühe mache, hinter die Kulissen zu schauen.

Es war genau richtig, so tief vorzudringen, so viel zu forschen, nicht locker zu lassen, mich ALLEM zu stellen, mir ALLES anzuschauen, was da so in mir schlummerte. Und ich werde auch nicht damit aufhören zu forschen, wieder und wieder die Zusammenhänge verstehen zu wollen, erspüren zu wollen, denn das meiste passiert bei mir über das Erfühlen. Ich durchdringe die Dinge mit meinem Bewusstsein, mach sie mir zu eigen, tauche ein und tauche auch wieder auf.

Soll ich euch was sagen? Jede Minute war es wert, mich damit zu beschäftigen. Jede Minute IST es wert, das zu tun. Jede Sekunde, in der ich mich um mich gekümmert habe, zahlt sich jetzt aus.

Ich BIN diejenige, die die Dinge durchdringt und verstehen „muss“, damit ich sie anderen erklären kann, damit ich Klarheit in die Welt bringen kann. Meine Wahrnehmung und meine Auffassungsgabe sind deshalb so glasklar, weil ich sie jahrelang trainiert und geschult habe.

Ich wollte mich immer bis in den hintersten, letzten Winkel meiner Seele durchdringen und verstehen, egal wie dunkel und dreckig es da vielleicht ist. Diese Sehnsucht und diesen Antrieb hatte ich ganz intensiv, als ich mich Ende 2009 auf den Weg gemacht habe, auf den Weg zurück zu mir. Dieser Sehnsucht, diesem Drang bin ich gefolgt. Bis heute.

Ich bin allem in mir begegnet, der dunkelsten Nacht der Seele. Mich haut so schnell nichts mehr um. Ich muss nirgends mehr wegschauen, weil mich vielleicht etwas peinlich berührt oder zu sehr schmerzt. Leid entsteht dann, wenn ich mich gegen das, was eh schon da ist, wehre, wenn ich im Widerstand zur Realität bin. Ich schaue hin, nicht weg. Ich schaue überall hin, da ist kein Widerstand mehr, kein Vermeidenwollen, kein Ausklammernwollen.

Tatsächlich kann man sagen, dass ich furchtlos geworden bin. Ich fürchte nichts mehr.

Dieses Ausmisten in mir, dieses rigorose Aufräumen, Durchfühlen, mich stellen, von dem mir so oft gesagt wurde, dass ich es übertreibe, hat mich letztlich in meine Kraft geführt, in meine Stärke. Dass ich der Schwäche, der Angst, der Ohnmacht, der Kleinheit, der Wut, der Wertlosigkeit, usw wieder und wieder gegenübergetreten bin und mich davon hab verschlingen lassen, hat mich in meine Größe geführt. Nichts anderes.

Ich stehe heute hier voller Leben, weil ich bereit war zu sterben, alles loszulassen, von dem ich dachte, dass ich das bin, wieder und wieder. Ich habe nichts gescheut, um nichts einen Bogen gemacht. Ich bin mittendurch, unzählige Male. Gott sei Dank! Gott sei Dank hab ich auf mich gehört und nicht auf die anderen.

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