Anja Reiche: „Du bist der Raum, in dem das Leben geschieht!“

Lass dich frei!
Lass dich zu!
Lass dich geschehen!
Lass dich sein!

Wenn ich das sage, dann meine ich damit ALLES an dir.

Alles, was gerade aus dir herausbrechen möchte, auch wenn es noch so unreflektiert scheint, so gar nicht spirituell und weise, so richtig Nicht-Gewaltfreie-Kommunikation.

Lass die Wut doch mal zu. Lass die Trauer doch mal zu, die Enttäuschung, den Frust. Sag dem andern doch mal wirklich, was du über ihn denkst, dass du gerade so gar nicht gut auf ihn zu sprechen bist, dass du ihn so gar nicht gerne um dich hast, dass er wegbleiben soll.

Ich selbst neige dazu – wie kürzlich schon erwähnt – immer ganz viel und ganz schnell für alles und jeden Verständnis zu haben. So einfach kann ich mir erklären, warum der andere jetzt gerade nicht besser kommunizieren kann, warum er gerade über meine Grenzen geht, warum er so barsch ist, so verschlossen, so unfähig, über Gefühle zu reden, so unfähig, sich zu reflektieren, so unfähig, bei sich zu bleiben. „Ach, er/sie kann es halt nicht besser.“

Dieses ganze Verständnishaben hat kurz vor Weihnachten bei mir zu einer gewaltigen Explosion geführt. Dieses Verständnishaben hat nämlich bei mir dafür gesorgt, dass ich mir meine Wut nicht zugestanden habe, dass ich sie weggedrückt habe, wegdiskutiert, weil ich allzu schnell damit beschäftigt war, Verständnis für den anderen zu haben, statt mich um meine Wut zu kümmern und ihr Raum zu geben.

Gefühlt stehen gerade ganz viele am gleichen Punkt: Das Maß ist voll. Der Deckel kann nicht mehr auf dem brodelnden Kessel gehalten werden. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, ist gefallen. Der Fluss ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist genug. Wir dürfen und sollen explodieren.

Freilich muss dabei keiner körperlich zu Schaden kommen. Freilich kann man auch dabei noch so bedacht sein, dass wir keinen niederschlagen. Aber wir können auf Kissen eindreschen, wir können schreien und brüllen, Hassbriefe schreiben, die wir auch gar nicht abschicken müssen, Plüschtiere als Stellvertreter anschreien und das Ganze einfach mal rauslassen. Ob die auslösende Person das mitbekommt oder nicht, ist erstmal egal. Hauptsache all diese geballte Kraft, die so lange in uns blockiert war, angestaut war, kommt endlich wieder in Wallung, darf mal raus. Raus aus uns.

Dann wird wieder Platz in uns. Das gibt Raum frei. Raum, den das Leben braucht, damit es sich entfalten kann. Der ganze Müll und Rotz muss raus. Vielleicht hast du ja wirklich gerade ordentlich Schnupfen oder Husten oder sogar Durchfall. Es darf Platz gemacht werden auf jede erdenkliche Weise. Vielleicht mistest du auch deine Freundesliste aus oder den Kleiderschrank.

Raus damit! Raus mit dem alten Schmodder. Wir haben zu lange geschluckt. Wir waren zu lange die braven, verständnisvollen Kinder und haben all unseren Gram geschluckt. Die Enttäuschung, den Schmerz darüber, dass wir andere immer „sehen“, sie uns aber nicht. Das ist gerade als Kind wahrlich zum Kotzen. Und als Erwachsene nichts besser, schon gar nicht, wenn diese alte Wunde von früher noch da ist.

Ich habe mir ganz ausdrücklich erlaubt, so richtig uncoachig zu sein, auch mal ungefiltert einfach rauszuknallen, was da gerade in mir ist. Ich habe mir erlaubt, rumzuschnauzen und vor allem mal für mich Verständnis zu haben. Mir hat das enorm gut getan. Ich muss das nicht immer wählen und zum Ausdruck bringen, aber ich kann, wenn ich will. Ich habe mir die Erlaubnis dazu gegeben so richtig, richtig Mensch zu sein, so richtig zu menscheln.

Ich lasse mich zu. Ich lasse alles frei in mir und um mich. Ich lasse MICH frei. Und damit bekommt das Leben den Raum, in dem es sich entfalten kann, in dem es geschehen kann. Dann ist da nämlich wieder Platz für Schöpfung. Dann haben wir uns Luft gemacht. Wir können wieder atmen, ganz tief. Der Kloß im Hals wird überflüssig. Der Knoten im Magen auch.

Lass dich frei. Lass dich von den Ketten. Hör auf, dich zu zügeln und zu beherrschen und all die Wut gegen dich selbst zu richten. Hör auf unbedingt Frieden wahren zu wollen und stattdessen einen Krieg in dir heraufzubeschwören. Hör auf nur ja keinen verletzen zu wollen, nur niemanden in seine Prozesse stürzen zu wollen. Alle haben gewählt. Du kannst niemanden wirklich verletzen. Du zeigst nur, dass die Verletzung schon lange da war und hältst deine Verabredung ein, dem anderen genau das zu zeigen.

Lass dich geschehen und damit das Leben.

 

Anja Reiche

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