Anja Reiche, Da gehöre ich nicht dazu

Sehr viele Menschen stellen gerade fest, dass die Menschengruppen (Arbeit, Familie, Freunde, Nachbarn, Clubs, etc.), in denen sie sich bisher ganz selbstverstĂ€ndlich bewegt haben, nicht mehr das richtige Umfeld sind. Vielleicht gab es vor dieser verrĂŒckten Zeit schon Hinweise, dass es eventuell nicht so ganz 100%ig stimmt, aber man konnte es noch kompensieren.

Nun werden die Unterschiede und Kluften teilweise extrem klar, offensichtlich und ĂŒberdeutlich. Es lĂ€sst sich nicht mehr verbergen. Die gemeinsame Zeit scheint abgelaufen zu sein.

Und dann gibt es da dieses PhĂ€nomen: Wir bleiben trotzdem. Wir versuchen mit allen Mitteln doch irgendwie dazuzugehören, uns anzupassen, einzufĂŒgen, die anderen passend zu machen, damit wir doch bleiben können. Wir scheuen den Abschied. Wir scheuen das Verlassen des Gewohnten, der „Herde“, der Zugehörigkeit, die in Wirklichkeit nie richtig gegeben war.

Wir kleben an dem, was eigentlich gar nicht mehr stimmt. Die bloße Vorstellung uns umzudrehen und ins Unbekannte zu gehen, hinaus in die weite, fremde Welt ohne direkt einen neuen Anschluss zu haben, macht uns Angst. Wahrscheinlich sogar kindliche Todesangst. Als Kind hĂ€tte das auch unseren Tod bedeutet. Ohne Familie, ohne Clan wĂ€ren wir ĂŒber kurz oder lang gestorben. Deswegen war Anpassung unsere Überlebensstrategie. Deswegen passen wir uns immer noch lieber an, als zu gehen. Diese kindliche Angst wirkt noch immer. Das Ausscheiden aus der Gemeinschaft ist lebensbedrohlich.

In diesem kindlichen Bild ist die Möglichkeit, dass es andere, passendere Gemeinschaften gibt, nicht inbegriffen. Das kommt da nicht vor. Es gibt nur diese eine Gemeinschaft, die das Kind kennt. Sonst ist da nichts und die muss doch verdammt nochmal irgendwie passen, passend gemacht werden oder ich muss mich passend machen. Da ist kein Urvertrauen in das Leben selbst. Da ist keine Idee davon, dass es auch irgendwie anders weitergehen kann. Da ist keine Idee davon, dass wir nicht mehr das Kind sind. Wir sind Erwachsen und das Leben selbst trĂ€gt uns. Es gibt mehr als unseren kleinen Teller ĂŒber dessen Rand wir nicht schauen und schon gar nicht fallen dĂŒrfen. Weg vom Rand, der ist gefĂ€hrlich!

In den letzten Wochen machen sich bei mir HĂŒfte und Knie der rechten Seite sehr bemerkbar. Heute kam da der Satz „Ich erlaube mir, zu gehen“. Das Gehen ist nĂ€mlich tatsĂ€chlich eingeschrĂ€nkt. Sehr kleiner Radius der Bewegungsfreiheit.

Ich weiß, dass es mit meiner Ursprungsfamilie zu tun hat. Ich fragte mich, warum sie mich nicht gehen lassen, denn so fĂŒhlte es sich an. Wie wenn sie mich hindern wollten, dass ich zu weit gehe, dass ich zu groß werde, dass ich in Gefahr gerate, wenn ich sichtbar werde, wenn ich raus gehe.

In einer Begegnung auf Seelenebene wurde deutlich, dass sie mich sehr wohl gehen lassen, dass sie sogar darauf bestehen, dass ich raus in die Welt gehe und mein Ding mache, dass ich mein Leben lebe. Auf jeden Fall soll ich das tun. Sie schoben mich regelrecht zur TĂŒr raus. Und was machte ich? Ich blieb wie angewurzelt stehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich war nicht in der Lage, mich umzudrehen und ihnen den RĂŒcken zuzukehren. Der Blick in die Weite, in die Fremde, ins Ungewisse raubte mir schier den Atem. Wie erstarrt stand ich da und bewegt mich keinen Zentimeter.

Ich hatte mir nicht erlaubt, zu gehen. Zumindest ein Teil von mir. Er ist wie in Schockstarre. Gefrostet. Weit aufgerissene Augen, der Atem angehalten, Blick ins Ungewisse. Dieser Teil ist noch nicht mal mein inneres Kind. Es ist eher die junge Frau, 19, 20 Jahre alt und in der festen Überzeugung, dass sie alles ganz alleine schaffen muss. Alle Last auf ihren Schultern. Sie mit ihrer Unerfahrenheit muss jetzt plötzlich wissen, wie das Leben funktioniert. Sie muss jetzt irgendwie zurechtkommen, gefĂŒhlt alleine, immer souverĂ€n, darf nicht scheitern, keine SchwĂ€che zeigen. Und dann noch die Angst vor Verletzungen, vor NĂ€he, vor wirklicher Offenheit. Deswegen auch die Idee, alles alleine machen zu wollen. Das schĂŒtzt. Umso weniger tiefe Verbindung, umso besser.

Und da ist er der Konflikt, der sich in meinem Körper ausdrĂŒckt. Die Diskrepanz zwischen „dem eigenen Weg“ und „der Herkunftsfamilie“. Letztere muss von der jungen Frau verlassen werden, aber der eigene Weg macht Angst und Druck. Also geht es weder vor noch zurĂŒck. Schockstarre. Erstarrung. Sich nicht bewegen können.

Mein Ich von heute nimmt jetzt erstmal diese junge Frau, die ich mal war, in den Arm und flutet sie mit Liebe und all dem universellen Wissen, das ich heute habe. Ich erzĂ€hle ihr, wie das Leben wirklich funktioniert und dass sie ganz vielen IrrtĂŒmern aufgesessen ist. Ich erzĂ€hle ihr von all den wunderbaren Menschen, von der Gemeinschaft der Soulfamily, von Magie, Wundern und Schöpferkraft, von Leichtigkeit und davon, was es bedeutet, sich tragen zu lassen. Ich lehre sie, zu empfangen und heile ihre Wunden. Die Starre löst sich, die Versteinerung weicht auf. Die Angst verlĂ€sst den Blick und macht das Herz frei fĂŒr den Fluss des Lebens.

Ja, sie will raus in die Welt. Ja, sie will das große Unbekannte, Abenteuer, rein ins Nichtwissen, dem Unsichtbaren folgen, das Leben spielen und erforschen, lachen, lieben, weinen.

ALLES!

Die junge Frau ist aufgewacht. ❀

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