Gedanken 20: Absurdistan
âAbsurdâ bedeutete vor etwa dreihundert Jahren noch in etwa âmisstönendâ â etwas also, das anders tönt, als normal und das deshalb eine Störung des normalen Befindens, des normalen Alltags und Lebens⊠hervorruft, die mitunter ziemlich unangenehm sein kann. Wobei natĂŒrlich der Zustand ânormalâ immer schon relativ war. Heutzutage gibt es eine ganze Menge von Synonymen, wobei keines davon an das heranreicht, was das Wort âabsurdâ in uns anzulösen vermag. Die Phrase âdem gesunden Menschenverstand widersprechendâ reicht am ehesten an seine Bedeutung heran.
Absurdistan ist die Vervielfachung von absurd bis zur Potenz. Und wenn es nur paradox, ĂŒberspannt, misstönend, illusorisch, widersinnig, fratzenhaft, usw. wĂ€re, wĂŒrde auch keiner davon sprechen. So aber dreht sich alles um Absurdistan und was sich nicht dreht, fliegt raus.
Absurdistan ist ein Land, das umgeben ist von Bergen und inmitten von uns allen liegt. Es befindet sich deshalb auch in den TĂ€lern, auf den Ebenen und in den BallungsrĂ€umen von Menschen, genannt âStĂ€dteâ. Im Prinzip also kann man es ĂŒberall finden.
WĂŒrde man Absurdistan einmal fĂŒr eine Weile verlassen, dann wĂ€re das zunĂ€chst ziemlich ernĂŒchternd. Dort wird unserer Sensationsgeilheit nĂ€mlich kein Bröselchen mehr geboten und sie wĂŒrde schneller verhungern, als uns lieb ist. Ăhnlich wĂŒrde es der in den letzten Jahrzehnten erzeugten Gewohnheit ergehen, dass wir dauer-entertaint und berieselt werden mĂŒssen. Brot und Spiele sowie domptierter Sport mit extra-teurer Ausstattung waren unser wohlverdienter Ausgleich fĂŒr die Sklavenarbeit, die wir im Akkord zu leisten hatten. Ausserhalb von Absurdistan aber wird kein Hahn mehr danach krĂ€hen.
Absurdistan ist das Undenkbare zum Quadrat und irrwitzig zum Kubik⊠und es ist so wahnwitzig absurd, dass es mit bisherigen RealitÀten nicht mehr vereinbar und deshalb mit ihnen inkompatibel ist. Was vorher war oder anderswo ist, existiert einfach nicht mehr. Deshalb ist Absurdistan das Traumland so vieler, vor allem aber der Herrscher des Irrsinns und der sinn- und denk-leeren Generationen.
In Absurdistan passen links und rechts nicht mehr zusammen und die linke Hand weiss dort nicht, was die Rechte tut. Es ist das Land, in dem nichts mehr Hand und Fuss hat. Und unsere Version von Absurdistan (hier in Ăsterreich) bricht tĂ€glich gerade alle Rekorde. Wir sind abolut stolz darauf.
Absurdistan ist das Land, das fernab jeglicher RealitĂ€t liegt und es kann deshalb jederzeit neu ausgerufen werden, ohne dass sich jemand noch an seinen vorherigen Zustand erinnern wĂŒrde. Es hĂ€lt seine Menschen mit einem wahren Feuerwerk an ununterbrochenen Unglaublichkeiten auf Trab⊠wissend, dass man ihrem Dasein stĂ€ndig mit dem Pinsel der AbsurditĂ€t eine âneue NormalitĂ€tâ aufmalen kann, Strich fĂŒr Strich und ohne, dass sie es merken.
Geht man aus Absurdistan hinaus, wirkt alles schnell blass und langweilig: keine Unterhaltung mehr, keine Dauer-Lautsprecherbeschallung. Das absurde Geschrei am bunten Markt von Politik und Expertentum, aus Götterhimmeln in weiss und schwarz, vom Kunst- und Kulturparadies, von den Einbildungszentren⊠wĂŒrde ganz einfach verhallen und das Kartenhaus einer kĂŒnstlichen RealitĂ€t wĂŒrde raschelnd in sich zusammenfallen. Tabula rasa â nichts davon hĂ€tte ausserhalb Bestand.
Der Himmel ĂŒber Absurdistan aber ist voll mit farbigen Luftballons, von denen jeder seine eigene Wahrheit offenbart, sobald er zerplatzt. Idyllisch breitet sich in diesem Land die Kultur einer wirbelnden Massenpsychose aus und seine Bewohner sind die treuesten Anbeter des gottgleichen Gesundheitskultes, der jeden Anflug an Krankheiten im Keim erstickt. TĂ€glich stehen sie staunend vor Absurdistans neuen Kreationen.
Absurdistan ist eine Welt, die man liebt, wenn man die selig-machende Eigenschaft besitzt, nicht selber denken zu mĂŒssen. Es lĂ€sst sich darin wunderbar trĂ€umen von einer himmelblauen Zukunft in absehbarer Zeit⊠in der rosarote Elefanten das Verhalten der Menschen reglementieren und grasgrĂŒne Frösche zum Quakkonzert ansetzen, sobald einer eine falsche Bewegung macht.
Absurdistan ist ein Land, das so unverkennbar âglobalâ ist, dass man es fast fĂŒr eine ausserirdische Einrichtung halten wĂŒrde, wenn man nicht besser wĂŒsste, dass seine Bewohner in keinem Fall âAliensâ sein können. Soviel AbsurditĂ€t wĂ€re selbst hier nicht möglich.
VerlÀsst man Absurdistan, dann ist plötzlich keiner mehr da, der uns sagt, was wichtig ist. Keiner, der uns zum Star machen wird, zum Wichtikus oder zum Konsumenten, zum Touristen, zum Steuerzahler, zum Verbraucher. Ohne Rollen und ohne Ziel steht man dann plötzlich da, als hÀtte einen das Leben höchstpersönlich ausgespuckt. Und man könnte glauben, dass man nackt sei⊠weil man nur mehr auf sich selber reduziert ist.
Absurdistan, dieses einmalige Land, weist jeden Verdacht auf eine allgegenwĂ€rtige grotekse, hirnverbrannte oder wahnwitzige Wirklichkeit weit von sich. Damit ist ein fĂŒr alle mal klar gemacht, dass nur Absurdistan die einzig gĂŒltigen Zutrittskarten zur einzige wahren RealitĂ€t und NormalitĂ€t auszugeben hat. Kein Trick ist dort zu billig, um angewendet zu werden, kein Preis zu hoch, um die LĂŒgen zur Wahrheit umzuschminken.
Und Absurdistan verteidigt seine GrundsĂ€tze, die es nun mal so bravourös erfunden und zur allgemein verpflichtenden Wahrheit erhoben hat. WĂŒrde jemand versuchen, daran zu rĂŒtteln, so hĂ€tte er das bestimmt zum letzten Mal gemacht. Dann nĂ€mlich wĂŒrde mit ihm aufgerĂ€umt werden⊠Die Bewohner hĂŒten sich deshalb unterwĂŒrfigst vor einem solchen Fehltritt.
Keiner, der jemals in Absurdistan war, wĂŒrde behaupten, dass dort ein Stein auf dem anderen geblieben ist. Vielmehr fliegen dort dem normalen Menschenverstand in einem fort die Fetzen um die Ohren. Was zuerst fĂŒr Tiere galt, gilt dort jetzt auch fĂŒr Menschen: Maulkorb (innerer und Ă€usserer), Ohrchip, Impfung. Und die lange Leine wurde auf null verkĂŒrzt. Stattdessen gilt jetzt Abstandhalten. Auf Absurdistan kann man sich da verlassen.
Reisst man jedoch aus Absurdistan aus, reist man umgehend in die eigene Welt. Das ist wie eine Totalbremsung und es kann sich wie ein Salto mortale anfĂŒhlen, dessen Folgen kaum abzusehen sind. Jedenfalls aber schaut man nach einem solchen Sprung in eine ganz andere Richtung â ohne AnknĂŒpfungspunkt an das, was vorher war. Kein Schaffner wird kommen, um die Fahrkarte zu kontrollieren, keine Grenzkontrollen einen Pass. Und der grenzfreie Raum kann sich zunĂ€chst wie eine Ăberforderung anfĂŒhlen. Doch man gewöhnt sich mĂŒhelos daran.
In Absurdistan kann man alles sagen, vorausgesetzt man spricht seine Sprache, nĂ€mlich Absurdisch â was allerdings die Wenigsten dort tun. Alle anderen lauschen fasziniert und sehen den Mund der Sprechenden auf und zu gehen, wĂ€hrend sie weniger als gar nichts verstehen. Eine solche Sprachkenntnis ermöglicht es dann natĂŒrlich diesen AuserwĂ€hlten, alles zu tun, was sie wollen⊠weil sowieso keiner versteht, was gemacht ist. So ist Absurdistan nun mal.
Absurdistan ist ein Wonneland fĂŒr schwache Gestalten und AngstbĂŒrger, die sich am liebsten an die ausgestreckten Krallen ihrer Dompteure hĂ€ngen, um gehalten zu werden, ohne dabei zu merken, wie man sie zerdrĂŒckt. Und es gilt dort: Je absurder, desto besser. Je schriller, desto teurer. Und je wichtiger, desto unerreichbarer.
Absurdistan ist ein Land, in dem man jeden Widerstand und jegliches Ausweichen des Volkes aus seinem Zwinger mit neuen Verordnungen und âNovellenâ beantwortet. Damit kann man ihm jeden Weg abschneiden. Der Wahnsinn, den Absurdistan seit dem letzten Krieg aufgebaut und verbreitet hat, trĂ€gt nun seine FrĂŒchte: die sĂŒsstesten FrĂŒchte, die man sich vorstellen kann.
VerlĂ€sst man Absurdistan, dann fallen einem die FrĂŒchte nicht mehr von selber in den Mund. Vielmehr muss man ihn aufmachen und ihn dazu verwenden, wozu er da ist: zum selber Sprechen, wozu das Selber-Denken allerdings Voraussetzung ist. Dort draussen braucht man keine Sprachrohre mehr, weil die Worte innerlich widerhallen und dabei ihren eigenen Klang erzeugen. Je intensiver und weitreichender der Klang, desto weiter auch die eigene Ausstrahlung. Das geht dann Hand in Hand⊠und jeder ist sich dort selber sein Meister.
Absurdistan erzeugt in einem fort die irrsinnigsten Wellen, zu denen es fĂ€hig ist, denn dort ist alles möglich und nichts ist mehr fix. Das Ganze ist lange schon und von vorne bis hinten geplant. Planlos aber zeigen sich jetzt seine Bewohner, weil sie Abweichungen in keiner Weise gewohnt sind. Und so rufen sie nach der starken Hand der absurdistanischen GrĂŒndervĂ€ter.
Absurdistan ist so pervers, dass einem beim blossen Hinschauen schon ĂŒbel wird und sein grottenschlechtes Drehbuch mĂŒsste selbst einfachen GemĂŒtern aufstossen. Aber sein kĂŒnstlicher Glanz wird tĂ€glich so hinpoliert, dass keiner es wagt, anders zu denken, als Absurdistan es vorgibt.
Das Absurdeste an Absurdistan aber ist, dass die Menschen sich seinem tĂ€glich nur noch absurder werdenden Diktat fraglos unterwerfen und so tun, als ob das alles âvöllig normalâ wĂ€re. Wenngleich sie auch genau spĂŒren, dass sie âihrem GefĂŒhlâ nicht mehr trauen können. Aber was ist schon GefĂŒhl? Solange der schlaue Kopf sagt, dass âdie da obenâ ja irgendwie Recht haben mĂŒssen, werden die GefĂŒhle ganz einfach nicht zugelassen. Und der wirklich denkende Verstand sowieso nicht.
Macht man jedoch einen kleinen Spaziergang aus Absurdistan hinaus, dann wird man feststellen, dass man nie wieder dorthin zurĂŒck kommen will, denn lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Der Schrecken besteht allerdings nur darin, dass man erkennt, wie lange man in diesem absurden Reiche verharrt hat, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch einmal tief durchgeatmet und Freiheit gerochen⊠ist bereits der Anfang vom Ende dieser absurden Welt.
Absurdistan ist ein Reich, in dem nicht nur âGeiz geilâ ist, sondern auch das zunehmende Zerfressen von Grund- und Menschenrechten, um eine importierte LĂŒge so lange aufrecht erhalten zu können, bis dieses glorreiche Reich dabei selber zerfĂ€llt. Was danach kommt, weiss keiner und will auch keiner wissen.
Absurdistan wird von allen regierungseigenen Propagandastuben ĂŒber den grĂŒnen Klee gelobt und dermassen hoch-gepriesen, dass es ĂŒber jeden Zweifel erhaben ist. Damit aber hat es Weltruhm errungen, woraufhin die bisher auf Europa beschrĂ€nkte Hymne nun zur neuen âInternationaleâ umgewidmet worden ist: âSeid umschlungen, Millionenâ schallt es jetzt durch die absurden Tempel, wenn der erlösende Pieks gesetzt wird â der seligmachende Akt, welcher alle Menschen der wunderbaren Welt von Absurdistan einverleibt.
Absurdistan wird nĂ€mlich demnĂ€chst zu jener âneuen Weltâ mutieren, die geordnet aus dem Impfchaos hervorgehen wird. Sobald dann im Körper der Absurdistanesen jene Vielfalt von kleinen Gen-Monsterchen in ihren Zellen zu summen beginnt, die ab dann alles richten wird⊠sind die feuchten TrĂ€ume der Transgen-deristen, Ă€h Transhumanisten, in ErfĂŒllung gegangen. Auf immer ergeben werden ihnen besagte Kreaturen dann zu FĂŒssen liegen und sie werden glĂŒcklich sein, dass sie endlich vergessen können, was bisher war.
Ist man aus Absurdistan einmal draussen, fangen einerseits zwar die Herausforderungen erst an. Andererseits aber wird die Wonne einer Freiheit spĂŒrbar und sichtbar, die wir alle als Kinder noch gekannt, dann aber zunehmend vergessen haben. Und wir können uns nun ins grĂŒne Gras legen, wie wir es damals als Kinder gemacht haben⊠und TrĂ€umen von der Welt, die wir haben wollen. Das ist dann der Beginn des grossen Abenteuers, in das wir jetzt hineingehen, nachdem wir Absurdistan verlassen haben, um selber wieder das Steuer in die Hand zu nehmen.
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