KEIN Impfpflichtverbot vom Europäischen Gerichtshof

APA/AFP/Archiv

Impfkritiker fürchten sei Monaten die Einführung einer verpflichtenden Corona-Impfung. In dem Kontext kursieren auch einige Falschbehauptungen. So soll etwa vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein Verbot der Impfpflicht beschlossen worden sein, heißt es in oft geteilten Facebook-Postings (1). Jede Impfpflicht sei „nun standardmäßig illegal”. Als Beleg dafür wird ein Blog-Artikel (2) angeführt.

Einschätzung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat kein Verbot der Impfpflicht beschlossen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat in einer Resolution lediglich empfohlen, dass alle Bürger informiert sind, dass die Corona-Impfung nicht verpflichtend ist. Resolutionen der Parlamentarischen Versammlung sind für die Mitgliedsstaaten nicht rechtsverbindlich.

Überprüfung: Der in den Postings erwähnte Blog-Artikel (2) stützt sich in seinen Behauptungen auf die Resolution 2361/2021 (3) des Europarats. Dieser ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu unterscheiden (4). Der EGMR ist eine von mehreren Einrichtungen des Europarats (5).

Der EGMR urteilt über Beschwerden von Personen und Staaten, die sich auf „Verletzungen der in der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Rechte beziehen”, heißt es unter anderem auf der Webseite des Europarats (6,7). Die von ihm gefällten Urteile sind für die betroffenen Staaten bindend.

Der Europarat hat u.a. zum Ziel, Menschenrechte zu fördern und zu schützen. Die Parlamentarische Versammlung ist eine weitere Einrichtung des Europarats. Diese hat auch die Resolution 2361/2021 verfasst. Solche Resolutionen sind als Empfehlung an die Mitgliedsstaaten zu sehen. Sie sind nicht rechtsverbindlich, wie eine Kurzinformation des Deutschen Bundestags (8) und der Europarat (9) selber auf seiner Webseite informiert. „Empfehlungen enthalten an das Ministerkomitee gerichtete Vorschläge, deren Umsetzung in den Zuständigkeitsbereich der Regierungen fällt”, steht auch in einer Publikationsreihe (10) über die Normsetzung des Europarats. Politischen Einfluss kann eine Resolution schon haben.

Die Resolution (3) von 27. Jänner 2021 behandelt ethische und praktische Erwägungen in Bezug auf die Covid-19-Impfung. So geht es etwa um Verteilungsfragen oder Fairness bei der Priorisierung. Unter Punkt 7.3. heißt es, dass sichergestellt sein müsse, dass alle Bürger darüber informiert sind, dass die Impfung nicht verpflichtend ist und dass niemand unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen, wenn er oder sie dies nicht möchte. Zudem solle niemand diskriminiert werden, weil er oder sie nicht geimpft wurde.

Am 27. Jänner 2021 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte außerdem keine Urteile (11) oder Entscheidungen (12) getroffen, wie sich auf dessen Webseite nachlesen lässt.


EGMR hält Impfpflicht für zulässig

Stand: 08. April 2021, 15:52 Uhr

Eine Impfpflicht kann in Demokratien „als notwendig angesehen werden“, das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Er wies Klagen aus Tschechien gegen die dortige Impfpflicht für Kinder ab. Das Urteil steht exemplarisch etwa für die Masernimpfpflicht in Deutschland – und könnte auch in der Corona-Pandemie eine Rolle spielen.

Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte im französischen Straßburg. Bildrechte: IMAGO

Eine Impfpflicht widerspricht nicht den Menschenrechten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg urteilte: „Die Maßnahmen können in einer demokratischen Gesellschaft als notwendig angesehen werden.“ Das Gericht lehnte die Klage mehrerer Familien gegen die in Tschechien bestehende Impfpflicht für Kinder ab.

Zur Begründung heißt es: Die Gesundheitspolitik des tschechischen Staates sei im „besten Interesse“ der Kinder – nämlich diese gegen schwere Krankheiten zu schützen, durch Impfung oder durch Herdenimmunität. Die Impfpflicht sei deshalb keine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Impfpflicht in Tschechien gegen neun Krankheiten

In Tschechien müssen Kindergartenkinder verpflichtend gegen neun Krankheiten geimpft werden, darunter Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Hepatitis B und Masern. Mehrere Eltern, die wegen Verstoßes gegen die Impfpflicht eine Geldstrafe zahlen mussten oder deren Kinder nicht in den Kindergarten aufgenommen wurden, hatten dagegen geklagt.

Es ist das erste Urteil des EGMR zu einer Impfpflicht für Kinder. Experten zufolge könnte es Auswirkungen auf die derzeit vielerorts laufenden Corona-Impfkampagnen haben. „Dieses Urteil stärkt die Möglichkeit einer Impfpflicht unter den Bedingungen der aktuellen Covid-19-Epidemie“, sagte der Rechtsexperte Nicolas Hervieu.


Deutschland

Nur kurze Zeit nach Bekanntwerden der Impfpflicht in anderen Ländern, kam aus Deutschland schon klarer Widerspruch gegen eine Impfpflicht. Allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss diese am Dienstag ungewöhnlich deutlich aus: „Wir haben nicht die Absicht, diesen Weg zu gehen, den Frankreich vorgeschlagen hat. Wir haben gesagt, es wird keine Impflicht geben“. Merkel kann sich sicher sein, mit dieser Aussage keinen großen öffentlichen Widerstand zu erregen. Der Grund liegt unter anderem darin, dass eine generelle Impfpflicht in Deutschland kaum durchzusetzen wäre.

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Merkel will keine Corona-Impfpflicht in Deutschland

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist im Grundgesetz verankert. Allerdings gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel müssen Kinder beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten eine Masernimpfung vorweisen. Auch bei der Betreuung durch eine Kindertagespflegeperson muss in der Regel ein Nachweis über die Masernimpfung erfolgen. Gleiches gilt für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen tätig sind wie Erzieher, Lehrer, Tagespflegepersonen sowie ein Großteil des medizinischen Personals. Auch Asylbewerber und Flüchtlinge müssen den Impfschutz vier Wochen nach Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft aufweisen.

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