Feldversuch an unseren Kindern mit dem Lolli-Test
Nach intensiver Recherche, veröffentlichen wir exklusiv fĂŒr unsere Leser einen traurigen und gefĂ€hrlichen Missstand im folgenden Artikel. Er zeigt auf, wie die Politik nachweislich die Gesundheit und das psychische Wohl von Kindern auf das Spiel setzt. Ein CdkW-Original.
von Götz von Ferenczy
Seit letztem SpĂ€tsommer sind sie millionenfach im Einsatz: Hunderttausende Kinder lutschen jede Woche mehrmals auf chinesischen TupferstĂ€bchen herum. So wird ermittelt, ob sie zur Schule dĂŒrfen.
âLolli-Testâ heiĂt die Methode: Benannt nach der Art und Weise, wie die Kinder die StĂ€bchen handhaben sollen. Zwei Mal die Woche, je zwei StĂ€bchen, je 30 Sekunden. Die Aufforderung zum âHerumlutschenâ ist dabei nicht einmal abfĂ€llig gemeint, sondern umschreibt die Probengewinnung. âJetzt wird medizinisch Lolli gelutscht.â ermuntert Dr. Kasperl von der Augsburger Puppenkiste in einem ErklĂ€rvideo. âWie beim richtigen Lutscher.â Er lacht aus groĂen Augen und trĂ€gt ein breites, tief ins Gesicht geschnitztes Grinsen. (www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7447/pcr-pooltests-an-grund-und-foerderschulen.html)
Die Kinder nehmen also einen Abstrichtupfer in den Mund und schieben ihn mit der Zunge hin und her, damit er mit Speichel durchtrĂ€nkt wird. Die erste Runde ist fĂŒr den Pooltest, die zweite fĂŒr die âRĂŒckstellprobeâ.
âDas Verfahren ist ungefĂ€hrlich und sehr kindgerecht.â, betont nicht nur das Bayerische Staatsministerium fĂŒr Unterricht und Kultus. (www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7447/pcr-pooltests-an-grund-und-foerderschulen.html) Auch weitere Akteure aus Politik und Wissenschaft sind dieser Meinung. Hinzu kommt: âVerschiedene Studien haben gezeigt, dass PCR-Pool-Tests mittels der Lolli-Methode gerade fĂŒr jĂŒngere Kinder einfacher anwendbar und angenehmer in der Handhabung sind.â (www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7451/haeufig-gestellte-fragen-faq-zu-den-pooltests.html#fragen-begleitstudie)
âGanz klar rechtswidrig.â
Mit fester Stimme hĂ€lt sie dagegen: âWas mich persönlich zutiefst schockiert, war zu sehen mit welcher Arroganz die Abgeordneten ĂŒber verschiedene Themen, die unsere Kinder betreffen, in oberflĂ€chlichster Art und Weise abstimmen.â An einem kalten Februartag steht die junge Frau auf einer BĂŒhne, den Mantelkragen bis zu den Ohren hochgeschlagen zum Schutz vor dem eisigen Wind. Auf der MĂŒnchner Theresienwiese spricht Verena Friz zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer politischen Veranstaltung.
âWennâs um unsere Kinder geht, dann hört der SpaĂ auf.â Da steht die Software-Expertin und redet ruhig, gefasst. Ihre Stimme hallt ĂŒber den Platz: âDiese Art von Testungen haben wir mit Experten aufwĂ€ndig analysiert und konnten sie ganz klar fĂŒr rechtswidrig erklĂ€ren.â (https://kinderrechtejetzt.de/rede-von-verena/)
Das klingt so gar nicht nach Puppenkiste und Kasperletheater. Sinnlos seien die Tests, sie verursachten bei vielen Kindern gesundheitliche Probleme. Es gehe um Ăbelkeit, Kopfschmerzen, Hautreizungen, Mattigkeit, allergische Reaktionen und mehr. âViele Eltern haben uns Leidensberichte ihrer Kinder zugeschickt.â Verenas Expertengruppe sammelte binnen kĂŒrzester Zeit zahlreiche UnterstĂŒtzter um sich, 6.000 unterschrieben eine Petition an den Bayerischen Landtag â von deren Behandlung im Bildungsausschuss am 27.01.2022 Verena Friz in ihrer Rede nun berichtet.
6.000 Unterschriften und es wĂ€ren noch weit mehr geworden, erzĂ€hlt sie spĂ€ter im persönlichen GesprĂ€ch. âWir haben dann aber das Sammeln gestoppt, weil wir dachten, diese Zahl und unsere Fakten seien aussagekrĂ€ftig genug.â
âWir hatten zwei Tatsachen.â
Der Experte fĂŒr die Fakten ist Dr. Christof Schalhorn, beim ihm laufen die FĂ€den zusammen. Er dokumentiert, analysiert und treibt die Recherchen voran. Der Fachmann fĂŒr Produkt- und ProzessqualitĂ€t dröselt ZusammenhĂ€nge auf und bereitet die Informationen fĂŒr die Ăffentlichkeit vor. In seinem Team: FachkrĂ€fte fĂŒr Biomedizinische Technik, Chemiker, Lebensmittelchemiker, Wissenschaftlerinnen und Experten aus den Bereichen Polymerchemie, Analytik und Bewertung von BedarfsgegenstĂ€nden sowie der Medizinprodukt-Entwicklung, der Medizinprodukt-Zulassung und eine Juristin.
âWir hatten am Anfang zwei Tatsachen.â Ein Pragmatiker. Schnell beschreibt er den Ausgangspunkt, denn schnell will er weiter, rasch das erörtern, was hier so offen liegt: âDie Tupfer haben einen eigenen Geschmack, und viele Kinder haben gesundheitliche Probleme.â So standen zwei Fragen fest: Was verursacht den Geschmack? Und könnte es Einfluss auf die Gesundheit der Kinder haben?
Wer den Eltern um Schalhorn misstraut, kann auch beispielhaft in einen Bericht des Deutschlandfunk hören. âCorona-Pool-Tests gelten als kindgerecht, unkompliziert und sicherâ (11.03.2021, www.deutschlandfunk.de/grundschulen-corona-pool-tests-gelten-als-kindgerecht-100.html) Wie der Titel schon verspricht, bleibt der Beitrag unkritisch und werbend â und verrĂ€t doch Details, die anderes erzĂ€hlen. So berichten Moritz und Elsa: âDer Test ist an sich ganz kurz, schmeckt halt nur nicht besonders gut.â
Das Augsburger Kasperle kann da nur lachen: âJa, hast Du Erdbeergâschmack erwischt, oder Banane? Oder vielleicht doch KĂ€sfĂŒĂgâschmackâ? Dann hĂ€lt Dr. Kasperle dem PuppenschĂŒler zwar nicht den Stinkefinger, dafĂŒr aber den StinkefuĂ vors Gesicht. (www.youtube.com/watch?v=MaESEa0uxbg)
Damit widerspricht sogar die Marionette dem Tupferproduzenten und dem Ministerium. Denn die beharren unisono wie so viele andere Stellen: âDer Abstrichtupfer ist geschmacklos und gibt keine Stoffe frei.â Nachzulesen auch in der himmelblau und rosafarbenen Gebrauchsanweisung (www.km.bayern.de/download/26223_Gebrauchsanweisung-des-Herstellers.pdf) sowie in den FAQ des bayerischen Kultusministeriums (www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7451/haeufig-gestellte-fragen-faq-zu-den-pooltests.html), wo es unter anderem heiĂt: âDurch das Lutschen an den Abstrichtupfern werden keinerlei Stoffe an die Anwenderin bzw. den Anwender abgegeben.â
Die von Christof Schalhorn und seiner Gruppe beauftragten Labore sehen das anders: âZu den Verbindungen/Verbindungsgruppen mit den relativ höheren Konzentrationen gehören: Aliphaten/Alkane, Styrol, Formaldehyd/Aldehyde, Methylacetat, Di-tert-butylbenzol, Ethylacetat, Alkohole.â AuĂerdem wiesen die Tupfer RĂŒckstĂ€nde in Form von Mikro- bzw. Nanopartikeln auf, darunter Aluminium, Titan, Chlor und Silizium.
Die Protokolle und Berichte sowie die durch die Wissenschaftlergruppe durchgefĂŒhrte Aufarbeitung der Analysenergebnisse, die Datenquellen und Belege hat die kritische Elterngruppe online gestellt unter https://kinderrechtejetzt.de/lolli-pcr-pooltest-stellungnahme-und-laboruntersuchungen/. Einmal 27, einmal 60 Seiten, faktenreich und sachlich.
âSie Ă€hneln einem Kaktus.â
Und erschreckend. Allein der Blick auf die Fotos macht klar, worauf die Kinder aller zwei Tage, zwei Mal fĂŒr mindestens je 30 Sekunden lutschen: âDie Tupferköpfchen (âŠ) Ă€hneln einem Kaktus mit vielen feinen spitzen Stacheln. Eine Abrasion an den Stacheln (âŠ) ist bei beiden Proben deutlich erkennbar.â â Beide Proben, das heiĂt, die StĂ€bchen der Pooltests und die der RĂŒckstellproben sind gleichermaĂen betroffen. âEbenso sind die scharfen Kanten und messerscharfe Auftreibungen am Ende der Fasern deutlich sichtbar.â (https://kinderrechtejetzt.de/wp-content/uploads/2022/02/Lolli-PCR-Pooltest-Tupfer_Laboruntersuchungen_Gesundheitsgefaehrdungen_VâŠ.pdf)
Im Klartext: Schon beim Entnehmen der Tupfer aus der Packung sind sie mit Kleinstpartikeln verschmutzt, und zwar mit winzigen Bruchteilen des Materials. Diese Partikel nehmen die Kinder beim Lutschen unweigerlich in den Körper auf.
Hinzu kommt, die am âLolliâ entstandenen Bruchstellen sind so scharfkantig, dass sie in jedem Fall auch Verletzungen auslösen können, kleinste unbemerkte, genauso wie gröĂere, schmerzhafte. âDamit reden wir nicht mehr nur vom Verschlucken.â
Sylvia von Rosenberg weiĂ, wovon sie spricht. Als Wissenschaftlerin erforscht sie das Zusammenspiel aus ErnĂ€hrung, dem Einfluss toxischer Stoffe und deren medizinische Auswirkungen. âMit einer Aufnahme ĂŒber die MundschleimhĂ€ute wird die Entgiftungsfunktion der Leber umgangen. Die Substanzen können direkt in den Blutkreislauf gelangen und sich im Körper verteilen, sogar bis ins Gehirn.â Eindringlich warnt die Fachfrau: âSie können die Blut-Hirn-Schranke ĂŒberwinden, also genau die Barriere, die unser Gehirn eigentlich vor schĂ€dlichen Stoffen schĂŒtzt.â
Durch die seit Monaten mehrfach pro Woche wiederholten Testungen bestehe die Gefahr einer kumulativen Anreicherung der Stoffe im Körper. âNiemand weiĂ, was genau passiert, und keine Studie widmet sich dieser Problematik.â
Es geht hierbei nicht nur um die oben beschriebenen BruchstĂŒcke und Schnittkanten, die beim Auspacken der âLollisâ bereits vorliegen. Vielmehr zeigen die Laboranalysen, dass die Kinder sowohl mit ihrem Speichel als auch durch die Lutschbewegungen weitere BrĂŒche der Kunststofffasern auslösen, was noch mehr scharfe Kanten und lose BruchstĂŒcke bewirkt.
âEs werden Klebstoffe eingesetzt.â
âDas haben wir nicht mal eben zufĂ€llig nachgewiesen.â, weiĂ Christof Schalhorn. Vielmehr kĂ€men die Verunreinigungen systematisch vor aufgrund des Herstellungsprozesses. Nun betonen zwar Produzent und Ministerium, der Abstrichtupfer bestĂŒnde âzum einen aus dem StĂ€bchen, das aus ABS Kunststoff gefertigt wird, und zum anderen aus dem Wattebausch aus 100% Medizinischem Nylon.â (www.km.bayern.de/download/26223_Gebrauchsanweisung-des-Herstellers.pdf) Doch so sauber ist die Sache nicht. Der Fachmann erlĂ€utert: âBei der Nylon-Beflockung werden Klebstoffe eingesetzt. Wie sollte das Nylon sonst am Kunststoff-Stiel halten?â
Auch die Sterilisation der Tupfer sehen die Experten hochkritisch. Statt Ethylenoxid kommt Gammastrahlung zum Einsatz: âEin heikles Verfahren, denn wenn der Energie-Eintrag nur minimal falsch dosiert ist, greift das die Materialien an. Es kommt zu Zersetzung und Stoffe werden frei.â Nicht ohne Grund sei die Bestrahlung von Lebensmitteln in Deutschland verboten, betont Sylvia von Rosenberg. (Einzige Ausnahme getrocknete KrĂ€uter und einige GewĂŒrze.) âUnd da man die Tupfer in den Mund nimmt, gilt Lebensmittelrecht.â
Produzent und Ministerium hingegen setzen auf Wiederholung: âSind die Materialien unbedenklich? Ja. (âŠ) Die verwendeten Abstrichtupfer enthalten keine schĂ€dlichen Substanzen.â (www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7451/haeufig-gestellte-fragen-faq-zu-den-pooltests.html) DafĂŒr fĂŒhrt das Kultusministerium sogar Belege an: âDie SterilitĂ€t der verwendeten Abstrichtupfer wurde vom Johner Institut Konstanz wissenschaftlich bestĂ€tigt. Das entsprechende Gutachten können Sie hier einsehen.â (www.km.bayern.de/download/26020_Gutachten-Pooltests.pdf) Mikrobiologische SterilitĂ€t also als Beleg fĂŒr das generelle Nichtvorhandensein schĂ€dlicher Substanzen?
Mehr noch: âĂberprĂŒfungen des Forschungszentrums JĂŒlich sowohl der Abstrichtupfer als auch der Verpackungsmaterialien auf etwaige RĂŒckstĂ€nde nach der Sterilisation haben zudem gezeigt, dass keinerlei Hinweise auf radioaktive Verunreinigungen zu erkennen sind.â (www.km.bayern.de/download/26020_Gutachten-Pooltests.pdf) So suggeriert der Text, dass der Beleg fehlender RadioaktivitĂ€t gleichbedeutend sei mit der Abwesenheit âetwaiger RĂŒckstĂ€ndeâ.
Keine Studie zum Wohlbefinden der Kinder.
Zeit fĂŒr einen Ausflug in Dr. Kasperls Corona-Labor: âDr. Kasperl schlĂ€gt zurĂŒck!â, verkĂŒndet die muntere Marionette im Auftrag des Bayerischen Kultusministeriums. âDrum habâ iâ höchstpersönlich alles probiert, um einen neuen Test zu finden, der einfach ist und SpaĂ macht.â
Wie viel SpaĂ, das sollten sogar Studien und Pilotprojekte vor der flĂ€chendeckenden EinfĂŒhrung der Lolli-Tests ermitteln. Darunter vor allem die Gemeinschaftsarbeit der UniversitĂ€ten Köln, DĂŒsseldorf, Heidelberg, Homburg, MĂŒnchen: â(M)it ĂŒber 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden Kinder und Jugendliche sowie Personal von Kitas und Schulen an fĂŒnf Standorten in Deutschland ĂŒber einen Zeitraum von bis zu zehn Wochen getestet.â (https://medfak.uni-koeln.de/service/kommunikation/pressemitteilungen/lolli-test-erweist-sich-als-effektiv-und-gut-durchfuehrbar)
Diese im Wissenschaftsjournal Lancet eClinicalMedicine veröffentlichte Studie zeige âdeutlich, dass der âLolli-Testâ (âŠ) eine hohe Akzeptanz an Schulen und Kitas genieĂt.â (www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(21)00362-X/fulltext#seccesectitle0011 und www.public-health-covid19.de/images/2021/WebinarSeptember/Suarez_Schultestungen_final_Zusammenfassung.pdf) Doch der Blick in die Arbeit enthĂŒllt nicht nur, dass der SpaĂ viel kĂŒrzer war als die besagten zehn Wochen: âAll classes and groups were tested (âŠ) for three consecutive weeks.â Der Blick zeigt auch, wie Dr. Kasperles âSpaĂfaktorâ, also die vermeintlich hohe Akzeptanz, zustande kam: âIt was measured by participation rate, (âŠ) as well as dropout rateâ. (âGemessen wurde sie anhand der Teilnahmequote, (âŠ) sowie der Abbrecherquote.â)
Das bedeutet: Es gab und gibt bis heute keine Studie, die sich dem psychischen und physischen Wohlbefinden der Kinder widmet. Niemand fragt und erfasst, wie sie sich mit dem dauerhaften Testen fĂŒhlen und was es mit ihnen macht. Niemand verfolgt ihre Gesundheit.
Die ErdmÀnnchen nicken.
Fragebögen, Analysen, all das fokussiert ausschlieĂlich auf die Testergebnisse und deren Verarbeitung. Aktuelles Beispiel dafĂŒr ist die wissenschaftliche Begleitstudie der LMU MĂŒnchen â an der bayerische Pooltest-Kinder teilnehmen mĂŒssen (www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7448/informationen-zum-pcr-pooltest-fuer-erziehungsberechtigte.html): âWie viele infizierte Kinder gibt es in der Klasse? Wie verĂ€ndert sich die Anzahl infizierter Kinder ĂŒber die Zeit? Gibt es Faktoren, die das Infektionsgeschehen in der Schule beeinflussen (z.B. Region, Klassenstufe, Geschlecht)?â (www.ibe.med.uni-muenchen.de/forschung/coronatests/index.html) Fragen nach der Gesundheit und dem Befinden der Kinder stellt die Forschung nicht.
Da erstaunt es auch nicht mehr, dass Dr. Kasperl in seinem Lehrvideo gar keine Schule mit Buben und MĂ€dchen besucht, um seinen neuen Test vorzustellen. Vielmehr fĂŒhrt er die Lolli-Methode in einer ErdmĂ€nnchen-Grundschulklasse vor: Bestehend aus korrekt maskierten, absolut identischen, völlig hörigen und sprachlosen ErdmĂ€nnchen, die sich einzig durch Kopfnicken auszudrĂŒcken wissen. (www.youtube.com/watch?v=MaESEa0uxbg)
Um welches Infektionsgeschehen geht es?
Mit Vollbremsung, quietschenden Reifen und eiligem Hupen fÀhrt Seppl vor, um die Speichelproben der frisch getesteten ErdmÀnnchen abzuholen. Hektisch stolpert er ins Klassenzimmer, klemmt sich die Proben unter den Arm und startet wieder.
Sicher laufen die Transporte im echten Leben anders ab. âDoch Dokumente zum Transportmanagement und zum verbindlichen Umgang mit den Proben sucht man vergebens.â Womit Christof Schalhorn eine weiteres Themenfeld um die Lolli-Tests anspricht. âDas ganze Vorgehen, die ganze Methode âLolli-Testâ wirft Fragen auf, egal, wo man hinschaut.â
Das fĂ€ngt bereits bei den vorbereitenden Studien an. Die oben zitierte Arbeit zum Beispiel fand im Studienzeitraum 36 ausschlieĂlich asymptomatische FĂ€lle unter den 3.970 Teilnehmenden. Ob und wie ansteckend die Kinder waren, wurde nicht ermittelt.
Um diese 36 positiv Getesteten zu finden, hatte man 41 Pools aufgelöst â und damit viele Kinder umsonst doppelt getestet. Von diesen 41 Pool hatten nur fĂŒnf einen ct-Wert unter 30 (siehe S. 8., appendix, www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(21)00362-X/fulltext#seccesectitle0011), die meisten tendierten gen 40. Warum die Forschenden keinen konkreten ct-Wert als Schwellenwert definierten, und ob dieses vage Vorgehen nur fĂŒr die Pools oder auch fĂŒr die RĂŒckstellproben angewendet wurde, erwĂ€hnt der Studientext nicht.
Sylvia von Rosenberg hat dafĂŒr kein VerstĂ€ndnis: âDas Problem ist, dass ein PCR-Ergebnis ab ct 28 nichts mehr darĂŒber aussagt, ob in der entnommenen Probe tatsĂ€chlich Virusmaterial enthalten war.â AusfĂŒhrlich erlĂ€utert sie dann, wie sich mit jedem weiteren Zyklus die Gefahr von falsch-positiven Ergebnissen potenziere.
Wer Orientierung zur Bedeutung des ct-Wertes sucht, kann auch auf den Seiten des RKI nachschauen. Zur Einordnung schreibt die Fachbehörde: âAls proxy fĂŒr einen Schwellenwert der Virus-RNA-Last haben mehrere Arbeitsgruppen auch ct-âcut-offâ Werte im jeweils verwendeten Testsystem abgeleitet, die meist zwischen 31 und 34 liegen.â (âVarianz von ct-Wertenâ www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html) Das bedeutet, wĂ€hrend betroffene Kinder der oben genannten Lolli-Studie sich in Isolation begeben mussten, rĂ€t das RKI eigentlich das Gegenteil: âZur Beendigung der Isolierung (ist) auch (âŠ) ein positives Testresultat mit einem CT Wert >30 zulĂ€ssig.â (www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Quarantaene/Absonderung.html)
Die Labore, die in Bayern derzeit Pooltests auswerten, arbeiten mit einem ct-Wert von bis zu 45, wie Verena Friz von einem teilnehmenden Labor schriftlich bestÀtigt bekam.
Keine unabhÀngige wissenschaftliche Forschung.
Von der Studie zum Produkt. âDie Methode âLutschen auf Abstrichtupferâ ist weltweit einmalig.â Christof Schalhorn schĂŒttelt den Kopf: âWir haben hier einen Abstrichtupfer. Er wird durch das Lutschen zweckentfremdet.â (siehe Bedienungsanleitung, ab S. 23 https://kinderrechtejetzt.de/wp-content/uploads/2022/02/Lolli-PCR-Pooltest-Tupfer_Erwiderung-Stellungnahme_V1.1.pdf)
Dazu gibt es keine unabhĂ€ngige wissenschaftliche Forschung, keine Praxis-Erfahrung von vergleichbaren ProdukteinsĂ€tzen und keine regulĂ€re medizinproduktrechtliche Zulassung. Christof Schalhorn spricht von einem âFeldversuch, der sich auĂerhalb der fĂŒr Medizinprodukte vorgeschriebenen Post-Market Surveillance- und Melde-Systeme bewegt.â (S. 3, https://kinderrechtejetzt.de/wp-content/uploads/2022/02/Lolli-PCR-Pooltest-Tupfer_Erwiderung-Stellungnahme_V1.1.pdf) Die Liste seiner Expertengruppe zu Rechtsgrundlagen und Richtlinien ist lang, siehe âGreifen nur Medizinproduktrecht-Gesetze?â unter https://kinderrechtejetzt.de/faq-lollitests-schadstoffe/Â
So stellen die Kritiker auch die CE-Kennzeichnung in Frage, denn diese gelte ausschlieĂlich fĂŒr die originalen Abstrichtupfer. âAber der Punkt ist: Es muss eine eigene BiokompatibilitĂ€tsprĂŒfung erstellt werden, die fĂŒr den Anwendungszweck âKinder-Lolliâ gilt!â
Der Staat als Akteur.
Es scheint das Prinzip von Dr. Kasperle aus dem ErklĂ€rvideo zu gelten: Kasperle hat die Idee zur neuen Testmethode, entwickelt sie, bringt sie in die Schulen und fĂŒhrt die Lolli-Tests alleine dort durch, es wertet sie aus, forscht im Labor und verjagt eigenhĂ€ndig das Virus.
Ăhnlich der deutsche Staat: In Gestalt des Kultus- oder Gesundheitsministeriums schiebt er die Entwicklung der neuen Testmethode an (www.schulministerium.nrw/22042021-informationen-zum-schulbetrieb-ab-26-april-2021), beauftragt und unterstĂŒtzt vorausgehende und begleitende Studien (https://medfak.uni-koeln.de/en/service/kommunikation/pressemitteilungen/schoco-projekt-testet-koelner-schueler-auf-coronavirus), er kauft das Medizinprodukt in groĂem Stil und setzt es in seinen Schulen ein. Ohne entsprechende ProzessĂŒberwachung und QualitĂ€tssicherung, ohne AbwĂ€gung der Sinnhaftigkeit und möglicher Alternativen â und ohne Blick auf die zu Testobjekten degradierten Kinder und ihre Gesundheit.
Da der Staat hier zudem von der CE-zugelassenen Zweckbestimmung des Medizinprodukts abweicht (www.schulministerium.nrw/interview-mit-prof-dr-gerd-faetkenheuer-leiter-der-infektiologie-am-universitaetsklinikum-koeln), wird er zum Inverkehrbringer eines neuen Medizinprodukts, also der Lolli-Methode, und ĂŒbernimmt damit die umfangreichen Pflichten eines Herstellers â vor allem da er die Entwicklung dieser abweichenden Zweckbestimmung selbst beauftragt hat.
Nach der EU-Gesetzgebung gibt es eigentlich definierte Rollen fĂŒr Marktteilnehmer: Hersteller, Inverkehrbringer, EU-BevollmĂ€chtigter, HĂ€ndler, Anwender und prĂŒfende Behörde. Diese Rollen sind ĂŒblicherweise und notwendigerweise getrennt. Der Staat hat dabei eigentlich nur die Rolle der Marktaufsicht als prĂŒfende Behörde inne. Eigentlich.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die AusfĂŒhrungen des RKI im Epidemiologischen Bulletin Nr. 26 vom 1. Juli 2021 mitunter eine ganz andere Bedeutung: âDerzeit können wöchentlich etwa 2,3 Millionen PCR-Tests auf SARS-CoV-2 in deutschen Laboren durchgefĂŒhrt werden.â Doch zum damaligen Zeitpunkt lag die Auslastung der Labore âbei deutlich sinkender Inanspruchnahmeâ bei nur etwa 30 %.
Da drĂ€ngt sich die Vermutung auf, dass es bei der EinfĂŒhrung der Lolli-Methode nicht zuletzt um eine StĂŒtzmaĂnahme fĂŒr die Labore und die Testinfrastruktur ging. Das Bulletin jedenfalls rechnet: âBei den etwa 2,7 Millionen KiTa-Kindern im Alter zwischen 2 und 6 Jahren (Quelle: Auskunft Bundesministerium fĂŒr Familie, Senioren, Frauen und Jugend) entspricht das bei PoolgröĂen von 20 Kindern pro Pool und 2 Testungen pro Woche 270.000 PCR- Testungen. FĂŒr Testungen von (Grund-) Schulkindern < 12 Jahre wĂŒrde sich diese Zahl entsprechend erhöhen.â
(www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/26_21.pdf?__blob=publicationFile)
Kurz zur Erinnerung: Der Herausgeber des Epidemiologischen Bulletins, das Robert Koch-Institut, ist ein Bundesinstitut im GeschĂ€ftsbereich des Bundesministeriums fĂŒr Gesundheit.
Sofort Tests einstellen.
Statt kĂŒnstlich TestkapazitĂ€ten zu erhalten, oder sie â wie seit MĂ€rz die Bayerische Staatsregierung â noch mehr auszuweiten, fordern Experten lĂ€ngst die Abschaffung von derartigen MaĂnahmen.
Mit deutlichen Worten positionierten sich jĂŒngst die Deutsche Gesellschaft fĂŒr Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und die Deutsche Gesellschaft fĂŒr PĂ€diatrische Infektiologie (DGPI) mit UnterstĂŒtzung des Berufsverbands der Kinder- und JugendĂ€rzte (BVKJ) in einer gemeinsamen Empfehlung: Testen ohne Anlass sei âauf Grund hoher prĂ€analytischer und analytischer Fehler nicht sinnvoll, insbesondere bei jĂŒngeren Kindern sind die Testergebnisse unzuverlĂ€ssig.â Sie fordern, dass anlasslose Antigen-Schnellteste und PCR-Poolteste ab sofort eingestellt werden sollten. (www.dgkj.de/fileadmin/user_upload/Meldungen_2022/220303_Empfehlungen_DGKJ_DGPI_BVKJ_.pdf)
Auch ein offener Brief von namhaften Unterzeichnern wie Prof. Dr. Klaus Stöhr an Bundeskanzler, MinisterprĂ€sidenten sowie Kultus- und Gesundheitsminister findet klare Worte: âInsgesamt brauchen wir eine RĂŒckkehr zur NormalitĂ€t fĂŒr unsere JĂŒngsten: Schulunterricht ohne (âŠ) anlasslose Reihentestungen fĂŒr gesunde Kinder. Bislang konnte nicht belegt werden, dass letztere irgendeinen messbaren Einfluss auf den Gesamtverlauf der Pandemie hatten.â (www.initiativefamilien.de/aktuelles/offener-brief-kinder-gehoeren-in-die-schule/)
Doch wer Forderungen aus derart kompetentem und prominentem Mund ignoriert, der lÀsst sich auch nicht von einer 6.000 Unterschriften starken Eltern-Petition ins Stolpern bringen.
Ăbersicht und Links
www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7451/haeufig-gestellte-fragen-faq-zu-den-pooltests.html
www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7447/pcr-pooltests-an-grund-und-foerderschulen.html
Originalbeitrag: https://clubderklarenworte.de/feldversuch-an-kindern/