Da ist grad eine unfassbare Wut. Eine Wut ausgelöst durch Menschen, die mauern, die sich nicht zeigen, die sich verstecken hinter Konzepten, Expertise, Phrasen, Affirmationen, Licht-und-Liebe-Geschwafel, „alles ist gut und erlöst“, hinter Finger-Pointing und einem verdrehten Hilfsangebot.
Ich zieh blank. Immer wieder. Ich steh da nackt. Mache nichts vor. bin ganz da mit allem. Mit jeder Emotion, jedem Gedanken, jeder Angst, jeder Freude. Und dann kommen da Menschen mit guten Ratschlägen, mit Fachwissen, mit auswendig gelernten und runtergebeteten Weisheiten. Da kommt alles, nur keine Selbstoffenbarung. Kein Mitteilen von eigenen Gefühlen, kein Zeigen vom Innenleben.
Immer schön weg von sich selbst. Immer schön bei mir stochern und mich zum Objekt der Aufmerksamkeit machen, nur um nichts von sich selbst preisgeben zu müssen.
Ich steh da eh schon nackt. Da gibt es nicht mehr zu finden als das, wie ich da bin. Ich sag’s doch schon.
Es macht mich gerade so rasend.
Kürzlich ist ein Zitat von Franz Kafka zu mir gekommen, das so treffend ist:
„Ich schämte mich, als ich bemerkte, dass das Leben ein Maskenball ist, und ich mit meinem wahren Gesicht teilgenommen habe.“ – Frank Kafka
Scham ist es vielleicht nicht unbedingt, aber ein Entsetzen. Da ist Traurigkeit und auch ein gewisser Frust. Ich zieh blank. Bin da. Schon immer eigentlich. Und mein Umfeld mauert. Doktert an mir rum. Meine Gefühle werden hergenommen und zerlegt.
So findet keine Begegnung statt. So findet keine Verbindung statt. So gibt es keine Beziehung. Wenn nur einer wirklich da ist, findet keine Intimität statt. Wenn sich einer weigert, sich selbst zu offenbaren, ist Vertrautheit und Nähe unmöglich. Einer alleine kann die Beziehung nicht „machen“ oder „retten“.
Ja, mir ist bewusst, dass es die meisten nicht besser können, dass da ein gewisses Unvermögen ist, dass da Schutzmechanismen am Wirken sind, dass da Angst ist, sich zu zeigen. Natürlich, ich kann das alles verstehen und nachvollziehen und gleichzeitig mag ich gerade total viel Mitgefühl mit mir selbst haben. Mitgefühl mit meiner Kleinen. Mitgefühl mit der Erwachsenen, die ich jetzt bin.
Das ist beschissen, wenn das Gegenüber nicht da ist, sich verweigert.
Ich hab mich davon beeindrucken lassen. Hab wirklich lange gedacht, dass es an mir liegt. Dass meine Gefühle falsch sind und ich das Problem bin. Dass ICH falsch bin und halt deswegen Beziehungen nicht funktionieren. Dass ICH falsch bin, wenn ich nicht in Konzepte, Ideologien, ins System passe. Dass ICH falsch bin, weil ich nicht funktioniere, weil ich nicht nach Schema F etwas tun kann, Fünf-Schritte-Pläne abarbeiten kann, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Wer sind denn diese Menschen, mit den guten Ratschlägen, die anscheinend wissen, wie Leben funktioniert – vor allem meins? Wer ist denn da wirklich hinter dem scheinbaren Wissen, hinter den Phrasen, hinter den Konzepten, hinter den guten Ratschlägen, hinter den Hilfsangeboten?
Ich will keine Hilfe von Menschen, die selbst nicht sichtbar sind, nicht greifbar, nicht fühlbar.
Wenn du mir begegnen willst, wirklich begegnen willst, dann bitte sei bereit, dich zu offenbaren. Ich bin da. Nackt. Zeige mich. Bereit, mich immer wieder in Frage zu stellen, bei mir zu schauen, das Meine zu mir zu nehmen, meine Schatten anzuschauen, meine Wunden. Das ist aber keine Einbahnstraße. Für eine wirkliche Beziehung braucht es beide in dieser Bereitschaft zur Wahrhaftigkeit. Für alles andere hab ich keine Zeit mehr und auch keine Lust. Lass mich in Ruhe und kümmer dich verdammt nochmal endlich um dich selbst.
PS: Danke, Christian, dass du gerade „stehen geblieben bist“ in meinem Sturm, dass du dageblieben bist, als ich mit der Faust auf den Tisch gedonnert habe, als ich geschrien habe. So heilsam. Danke, dass du dich mir genauso zeigst.
Originalbeitrag: https://www.facebook.com/anja.reiche