Bin ich wirklich bereit, das „Problem“ loszulassen? Das, was mich klein hält, krank macht und doch irgendwie Sicherheit bietet? Anja Reiche (Repost)

Den nachfolgenden Text musste ich einfach nochmal teilen. Ich hab nämlich gerade heute ganz extrem keine Geduld für Gespräche mit „Ja, aber…“ innerhalb der alten Begrenzungen. Es ist mehr als an der Zeit, den alten Tellerrand ganz extrem zu weiten, am besten komplett zu verlassen.

🔥

Der Aber-Glaube, der Glaube an das „Ja, aber…“

Das Wort Aberglaube kennt wahrscheinlich jeder. Heute kam in einem wunderbaren Austausch dieser Aspekt, diese Deutung, dieses Wortspiel zum Vorschein. Der Glaube an das „Ja, aber“.

WOW! Aberglaube auf diese Weise betrachtet, haut nochmal so richtig rein, wie ich finde.

Man könnte es auch gleichsetzen mit: „Für jede Lösung ein Problem.“

Oder:

„Willst du recht haben, oder glücklich sein?“

Es gibt Menschen, die sind regelrecht beratungsresistent. Die wollen an ihr ABER glauben. Die wollen festhalten an alten Mauern, an alten Weltbildern, an den Problemen, an den Begrenzungen in ihrem Kopf, weil es scheinbar Sicherheit bietet.

Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein bisher für wahr befundenes Weltbild, eine Ansicht, eine Meinung plötzlich wankt, wenn an den Grundfesten gerüttelt wird. Ich kenne diese Momente, wenn man plötzlich nicht mehr weiß, was man glauben soll. Wenn man haltlos und völlig verloren umherschwirrt im Nichtwissen, wenn alles Kopf steht und man gar nicht mehr weiß, was denn nun stimmt.

Das kann sehr bedrohlich sein. Das kann so bedrohlich sein, dass derjenige, der dieses Wanken ausgelöst hat, sogar als Gefahr angesehen wird und vernichtet werden muss. Ich kann das total verstehen, voll nachempfinden.

Und gleichzeitig ist es so sinnvoll, wie den Spiegel zu putzen, wenn man darin sieht, dass man einen Fleck im Gesicht hat.

Die andere Weltsicht ist nicht das Problem. Derjenige, der die andere Weltsicht in den Ring wirft, ist nicht das Problem. Es sind die Gefühle von Ohnmacht und Unsicherheit, von Verwirrung und Orientierungslosigkeit, die die Bedrohung ausmachen. Es sind die Konsequenzen, die es nach ziehen würde, wenn der andere recht hätte.

Stefan Hiene hat es neulich so schön auf den Punkt gebracht. Es gibt nur eine Art von Flucht und das ist die Flucht vor den eigenen Gefühlen.

Die Bedrohung, ja gar die Todesangst, die ein anderes Weltbild, eine andere Sicht, ein Lösungsansatz auslösen kann, ist ja nicht real. Sie ist faktisch nicht vorhanden und doch wird es so empfunden. Es geht direkt, gefühlt, um Leben und Tod.

Da kommt ein „Ja, aber“ gerade recht. Es hilft die Bedrohung fürs Erste zu entkräften. Es hilft, das alte Weltbild erstmal wieder zu erhalten, zu stabilisieren und zu bewerkstelligen, dass das Wanken aufhört.

Letztlich ist es Augenwischerei. Diese Art von Aber-Glaube kommt Scheuklappen gleich. Es blendet alles Neue und Unbekannte, ja gar Unerhörte und Ungeheuerliche aus. Was nicht sein darf, kann nicht sein.

Die Fragen allerdings bleiben: Was wäre, wenn der andere recht hat? Was wäre, wenn mein Weltbild wirklich überholt ist? Was wäre, wenn ich mich mal auf das Gedankenspiel einlasse und wirklich wie im Spiel mal davon ausgehe, dass es stimmt, was der andere sagt? Was löst das in mir aus? Was würde das für mein Leben, für meine Entscheidungen, für mein Empfinden, für mein Handeln, für mein Gefühl von Sicherheit bedeuten?

Was bleibt, wenn im Außen alles wegbricht? Wer bin ich ohne Besitz?

Wer bin ich, wenn es wahr wäre, dass es eine Quelle neben Gott gibt, die Unbeseeltes hervorbringt?

Wer bin ich, wenn die Erde eine Scheibe wäre und der Mond ein Raumschiff? Wer bin ich, wenn es Außerirdische gäbe, die die Menschheit aussaugt und manipuliert?

Wer bin ich, wenn die Geschichte über meine Krankheit nicht stimmt? Wer bin ich, wenn ich mir eingestehen würde, dass mich meine Beziehung langweilt? Wer bin ich, wenn ich mir eingestehe, dass ich eigentlich gar nichts leisten möchte? Wer bin ich, wenn ich mir eingestehe, dass ich gerade keine Zeit mit meinen Kindern/Eltern verbringen will?

Brauche ich ein „Ja, aber“? Ja, aber das geht ja nicht? Ja, aber das wäre ja viel zu einfach? Ja, aber wenn das jeder machen würde? Ja, aber so kann das gar nicht sein? Ja, aber das war schon immer so? Ja, aber das macht man doch nicht? Ja, aber das darf man doch nicht? Ja, aber dann will ich auf dieser Welt nicht mehr leben?

Was wäre, wenn ich all diese Gedanken, die ich sonst mit einem „Ja, aber“ wegwischen würde, mal zulassen würde? Was fühlt es dann in mir? Was denkt es dann in mir? Wer wäre ich dann?

DAS ist für mich der wahre Mut. DAS sind für mich die Chancen zur wahren Selbsterkenntnis. DAS ist für mich der Weg in die Freiheit. Wenn alles sein darf und ich damit im Frieden bin.

09. August 2022

Anja Reiche

🔥
🔥
🔥
🔥
🔥