Ein Kommentar von heute morgen zum Thema Ego hat mich sehr ins Mitgefühl gebracht, betroffen gemacht. Da war die Aussage, dass das Ego manchmal noch dazwischen pfuscht, wenn es um die Hingabe an das Leben geht. Anja Reiche

Ich konnte nicht anders und „musste“ fürs Ego in die Bresche springen.

„Ich spüre Betroffenheit bei der Formulierung „das Ego pfuscht dazwischen“. Da ist Traurigkeit und Mitgefühl mit dem „Ego“. Für meine Begriffe ist das sogenannte Ego Trauma. Reaktionen vom verletzten Kind. Überlebensstrategien, die wir als Kind entwickeln mussten, um durchzukommen. Total intelligent. Aus diesem Blickwinkel „pfuschen“ zu hören, tut mir in der Seele weh. Das Trauma/Ego glaubt immer noch für das Überleben sorgen zu müssen und den Job hat es über Jahre wirklich gut gemacht. Wir leben. Gott sei Dank. Danke „Ego“. So wertvoll, dass es dich gibt.“

Dann ist mir ein Text eingefallen, den ich schon mal zu diesem Thema geschrieben habe. Ich mag ihn nochmal teilen. Ich mag nochmal ans Mitgefühl für uns selbst appellieren, wenn sich alte Verletzungen zeigen, das innere Kind schreit und die Regie übernimmt, Wunden gesehen werden wollen, abgelehnte Anteile, abgelehnte Gefühle, hinderliche Überzeugungen wirken. Wir machen hier einen verdammt guten Job! 🔥❤🔥

⚜

Fühlexperiment – Trauma statt Ego

Ich habe mich die letzten Wochen nochmal intensivst mit Trauma befasst, mit alten Verletzungen und Wunden, die Entstehung, die Heilung. Der Film „The Wisdom Of Trauma“ hat da nochmal richtig Bestätigung gegeben, bei allem, wobei ich auch rausgekommen bin.

Schon im Februar bin ich auf den Satz gestoßen „Ego besteht aus Trauma“. Der hat damals total bei mir eingehakt. Wenn wir aus dem sogenannten Ego heraus handeln, diesem oftmals auch so verpönten Ego, dann handeln wir schlicht aus einer Verletzung heraus, aus Trauma.

So viele sind bestrebt, dieses „scheiß“ Ego loszuwerden, es in Zaum zu halten, nur nicht auf es reinzufallen, nicht in die Ego-Falle zu tappen. Würdest du auch so reden, wenn du das Ego als Trauma sehen würdest?

Ersetze mal in allen Sätzen, die du schon über das Ego geäußert hast, das Wort Ego durch das Wort Trauma und spür mal hin, was sich verändert.

Ich übertreibe jetzt mal ganz bewusst und mach die Aussagen krass:

„Der Arsch handelt doch grade voll aus dem Ego.“

👉Der Arsch handelt doch grade voll aus dem Trauma.

Schon alleine bei dem einen Beispiel wird sofort der Unterschied deutlich. Niemals würde ich persönlich erstens in einem Satz, in dem ich über Trauma rede, das Wort Arsch verwenden. Und zweitens gehe sofort ins Verständnis, ins Mitgefühl, werde weich und liebevoll, sehe einen Menschen mit seinem Schmerz.

Das heißt nicht, dass ich mir alles gefallen lassen muss, was Menschen aus dem Trauma heraus tun. Ich darf natürlich und nach wie vor super gut für mich sorgen, meine Grenzen klar kommunizieren. Ich muss deswegen kein Mitleid haben und mich selbst übergehen, weil der andere es ja gerade nicht besser kann. Nein, nein, das meine ich damit gar nicht. Nach wie vor ist jeder für sein eigenes Trauma und dessen Heilung verantwortlich. Das kann einem keiner abnehmen.

Mir geht es dabei gerade vor allem um das Mitgefühl für sich selbst, um die Liebe zu sich selbst, die Milde, das Verständnis für seine Wunden und für das „Ego“. 😉

„Da kommt schon wieder mein Ego daher und will, dass ich schneller, besser, weiter bin.“

👉 Da kommt schon wieder mein Trauma daher und will, dass ich schneller, besser, weiter bin.

Gleich ganz anders, oder?

Das Trauma hat dafür gesorgt, dass wir überlebt haben. Das Trauma versucht uns nach wie vor zu schützen und weiterhin unser Überleben zu sichern, bekannten „Gefahren“ auszuweichen, bekannte „Überlebensstrategien“ wieder einzusetzen. Diese Strategien sind freilich heute nicht mehr verhältnismäßig und adäquat. Natürlich darf da Veränderung und Heilung rein. Dafür braucht es für meine Begriffe aber diese Milde mit sich selbst und nicht den Widerstand gegen das „Ego“.

Wie könnten wir ernsthaft das Ego verteufeln, wenn es sich dabei um Trauma handeln würde? Wie könnten wir auf die Idee kommen, das Ego unterbuttern zu wollen, wenn es dabei um unsere Wunden ginge?

03. Juli 2021

Anja Reiche

⚜