FREI SEIN LERNEN. Lichtweltverlag

  • 27. Februar 2024

Von Alexandra Terzic-Auer

Ich persönlich betrachte die Freilerner als Vorboten einer neuen Zeit. FĂŒr mich steht außer Zweifel, dass unser materialistisches Zeitalter, das von einem geistfeindlichen Leistungs-, Wachstums- und Kontrollwahn geprĂ€gt ist, sein Ablaufdatum bald erreicht haben wird. Mit den selbstbestimmten Menschenkindern, die heute heranwachsen, beginnt  eine Ära, in der das, was heute noch eine seltene Ausnahme darstellt, die Regel sein wird: Ein friedliches Miteinander selbstbestimmter Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft, verschiedener Begabungen, die sich ihrer Einzigartigkeit ebenso klar bewusst sind wie ihrer geistigen Verbundenheit. Solche Menschen sehnen sich nicht mehr nach FĂŒhrungspersönlichkeiten und trĂ€umen auch nicht von globaler Herrschaft. Sie finden ihre grĂ¶ĂŸte Freude und ErfĂŒllung darin, dem Leben in allen seinen Formen zu dienen.

Beitragsbild © Andrea Percht

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Frei sein lernen

Scholé-Nachrichten Februar 2024

Liebe Scholé-Freunde,

Das Jahr 2024 ist in vieler Hinsicht ein besonderes Jahr – fĂŒr mich auch deshalb, weil der Verein „ScholĂ© – Muße fĂŒr Herz und Geist“ heuer 10 Jahre alt wird. Zeit fĂŒr einen kurzen RĂŒckblick und Ausblick also! Als Sibylle Eisenburger und ich im FrĂŒhjahr 2014 zur Vereinsbehörde in Klosterneuburg gingen, waren wir schrecklich aufgeregt. Von einer Gönnerin, die meine engste Vertraute war und ist, hatten wir eine großzĂŒgige Spende geschenkt bekommen. In unseren Köpfen schwirrten verschiedenste Ideen, wie wir die Mittel im Sinne des Vereinszwecks – „zur Förderung freier und selbstbestimmter Bildung“ –  am besten einsetzen könnten.

Im Herzen getragen hatte ich das Projekt ScholĂ© ja schon lĂ€nger, genauer gesagt seit dem Schock, den das Buch „
und ich war nie in der Schule“ sowie etwas spĂ€ter die persönliche Begegnung mit dessen Autor AndrĂ© Stern in mir ausgelöst hatten. Wieso war mir trotz meiner dramatischen Erfahrungen in 7 verschiedenen Schulen/Internaten und trotz der vielen Schulprobleme, die ich mit fremden und eigenen Kindern durchgemacht hatte, bis dahin noch nie der Gedanke gekommen, dass es möglich wĂ€re, junge Menschen einfach frei aufwachsen zu lassen?!

Wir können die Natur nicht verbessern, höchstens stören

Die Antwort war natĂŒrlich bei AndrĂ©s Eltern zu suchen: Was hatte sie befĂ€higt, diese fĂŒr die meisten Zeitgenossen nach wie vor „undenkbare“ Entscheidung zu treffen? Sie gingen von einem völlig anderen Menschenbild aus, zu dem sie durch ihre persönlichen Erfahrungen im Malort gelangt waren: Der Mensch ist vollkommen, so wie er ist. Jeder Einzelne trĂ€gt das universelle Menschheitswissen in seinen Zellen und kommt mit einem individuellen Lernplan zur Welt, der seiner speziellen Lebensaufgabe entspricht. Ein Kind braucht deshalb nur liebevolle Begleitung und UnterstĂŒtzung, um seine Anlagen aus sich heraus Schritt fĂŒr Schritt zur Entfaltung zu bringen. Von Beamten ausgearbeitete allgemeine LehrplĂ€ne, die allen Kindern ĂŒbergestĂŒlpt werden, ob sie wollen oder nicht, sind aus dieser Perspektive betrachtet ein Unding


FĂŒr meine Söhne kam diese epochale Erkenntnis leider zu spĂ€t, aber ich beschloss, ab nun möglichst viele andere Eltern, Lehrer und Behördenvertreter darauf aufmerksam zu machen, dass unsere Bildungsmisere nicht unlösbar ist, weil es Alternativen zum Schulbesuch gibt! Eine davon ist das Freilernen bei aufgeschlossenen Eltern zu Hause. Die nĂ€chste Alternative, die mir „zufĂ€llig“ begegnete, war Sugata Mitras Experiment „Wolkenschule“: Der indische IT-Fachmann baute einen Computer in die Mauer eines Slumviertels in Kalkutta ein und konnte so unbemerkt beobachten, wie es sogar den unterprivilegiertesten Kindern – allein aufgrund ihrer Neugier und Begeisterung – spielerisch gelang, sich erst die Bedienung des Computers und dann Englisch, Lesen, Schreiben und viele andere Dinge ohne jede Anleitung selbst beizubringen.

Ein Bildungsprojekt, das Viele inspiriert hat

Noch verblĂŒffender waren die EindrĂŒcke, die Sibylle und ich gewannen, als wir nach einjĂ€hriger Vorbereitungszeit im November 2013 endlich die sagenhafte Schetininschule, ein russisches Internat im Kaukasus erreichten. Wir konnten dort hautnah miterleben, welch himmelweiten Unterschied es macht, ob Kinder als vernunftbegabte SĂ€ugetiere nach Plan unter- bzw. abgerichtet werden, oder ob man sie als hohe geistige Wesen achtet und systematisch dabei unterstĂŒtzt, sich die Welt auf ihre Weise selbststĂ€ndig anzueignen.

Weltruhm erlangte die Schetininschule, die nach dem Tod ihres GrĂŒnders 2019 leider geschlossen wurde, durch die „unerklĂ€rlichen“ intellektuellen Hochleistungen, die ihre Absolventen regelmĂ€ĂŸig erbrachten. Was uns persönlich aber noch mehr faszinierte, war die gelassene Freundlichkeit der jungen Menschen im Umgang mit uns und miteinander, ihre strahlende Gesundheit und die Begeisterung, mit der sie ebenso diszipliniert wie lustvoll Sport betrieben, sangen, tanzten, musizierten, malten, bauten, kochten, putzten, lernten. Noch nie zuvor waren mir junge Menschen begegnet, die eine solche WĂŒrde, Wachheit und Lebendigkeit ausstrahlten!

Ein junger Deutscher, der die Schetininschule absolviert hat, fĂŒhrte uns spĂ€ter genauer in die Schaubildarbeit ein, die dort ĂŒber die Jahre immer weiter entwickelt wurde. Sie ermöglicht ganzheitliches Lernen in FĂ€cher ĂŒbergreifenden SinnzusammenhĂ€ngen. Ein Schaubild beginnt zum Beispiel mit der Frage, was Mathematik eigentlich ist, wie sie entstand, wozu sie dient, wie vielfĂ€ltig ihre Anwendungsmöglichkeiten sind und was sie mit den anderen Wissensgebieten – Physik, Chemie, Biologie und Geisteswissenschaften – zu tun hat.

Diese tiefgrĂŒndigen Fragen werden jedoch nicht von Lehrern beantwortet! Vielmehr setzen sich 4 bis 8 interessierte SchĂŒler verschiedenen Alters – die jĂŒngsten 9, die Ă€ltesten 17 Jahre alt – zusammen und beginnen in BĂŒchern und im Internet eigenstĂ€ndig zu recherchieren. Was sie dabei herausgefunden haben, besprechen sie in angeregten GesprĂ€chen miteinander und mit erwachsenen Lernbegleitern, die nur Fragen beantworten dĂŒrfen, ohne sich einzumischen. Jede Gruppe ordnet das Material auf ihre Weise und prĂ€sentiert es schließlich den Schulkollegen in Form eines Schaubildes. Dabei kommen außer Schrift und Zeichnung auch Lieder oder kurze Sketches zum Einsatz, denn aus eigener Erfahrung wissen die SchĂŒler:

Nur wenn sie das Herz und den Geist ihrer Zuhörer erreichen, kann die Übergabe eines Schaubildes gelingen. Nur dann kommt es zu dem geheimnisvollen Lerneffekt, den ein Forscher einmal als „Wissensosmose“ bezeichnet hat.

Eine Fußnote dazu: der SchetininschĂŒler, den wir spĂ€ter zu einem Vortrag nach Wien eingeladen haben, war danach lĂ€ngere Zeit in der  Weinbergschule am Wallersee, um Lehrern und SchĂŒlern sein Wissen und seine Erfahrungen weiterzugeben. Obwohl die WeinbergschĂŒler seit vielen Jahren bei ExternistenprĂŒfungen immer ĂŒberdurchschnittlich gut abschnitten, hat die Bildungsdirektion Salzburg unter fadenscheinigen VorwĂ€nden die Schließung der Schule veranlasst und, damit nicht genug, die Schaubildarbeit als solche fĂŒr den Unterricht ausdrĂŒcklich verboten!

Gesichertes Dasein oder freies Leben?

Wenn Menschen nicht nur selbst in Unfreiheit aufgewachsen sind, sondern spĂ€ter beruflich davon profitieren, dass auch die nĂ€chste Generation wieder in Unfreiheit aufwĂ€chst – wie das zum Beispiel bei VertreterInnen von Bildungsbehörden der Fall ist -, haben sie begreiflicherweise panische Angst vor einer geistigen Freiheit, die tatsĂ€chlich ihr gesamtes, ihnen Sicherheit vermittelndes Herrschaftssystem zum Einsturz bringen wĂŒrde. Bei den zahlreichen GesprĂ€chen und Informationsveranstaltungen der letzten 10 Jahre ging es immer wieder um die Unvereinbarkeit zwischen einem „gesicherten“ geplanten Dasein und einem unabhĂ€ngigen, selbstbestimmten Leben. Freiheit ist nichts fĂŒr Angsthasen! Sie lĂ€sst sich auch nicht planen, sondern fĂ€llt denen als Geschenk in den Schoß, die sich dem Fluss des Lebens anvertrauen – das haben wir viele Male selbst erlebt!

Wenn es um neue Vorhaben ging, haben wir beispielsweise immer Aufstellungen gemacht, um schon im Vorfeld zu klĂ€ren, ob unsere Ideen zielfĂŒhrend sind oder nicht. Was dabei herauskam, entsprach oft ĂŒberhaupt nicht unseren Hoffnungen oder Erwartungen, aber wir haben uns dadurch viele Um- und Irrwege erspart, glaube ich! Wenn wir gar nicht mehr wussten, wie es weitergehen soll, begegneten uns dafĂŒr oft die merkwĂŒrdigsten ZufĂ€lle und SynchronizitĂ€ten und wiesen uns unerwartete neue Wege.

Die inneren Sinne des Menschen

Als wir zum Beispiel darĂŒber nachdachten, wie wir Eltern denn begreiflich machen könnten, was in ihren Kindern alles steckt, stolperte ich im Internet ĂŒber das sogenannte Sehen ohne Augen. Diese FĂ€higkeit zĂ€hlt zu den inneren Sinnen und ist eine Vorstufe der Hellsichtigkeit. Sie ist in allen Menschen angelegt, verkĂŒmmert allerdings spĂ€testens zu Beginn der PubertĂ€t, wenn sie nicht genutzt wird. Bei Seminaren mit Irina Lang konnten viele Eltern staunend miterleben, dass ihre Kinder nur ein bisschen Ermutigung brauchten, um in kĂŒrzester Zeit mit verbundenen Augen erst Farben, dann auch Bilder und GegenstĂ€nde zu erkennen, Geschicklichkeitsspiele zu spielen oder Texte zu lesen.

Dabei machten wir teils wunderbare, teils traurige Beobachtungen: Ein MĂ€dchen entdeckte, dass sie sich mit geschlossenen Augen viel besser orientieren konnte und es daher kein Problem mehr fĂŒr sie war, alleine Bahn zu fahren. Ein SchulanfĂ€nger, der noch nicht lesen konnte, schaffte das mit verbundenen Augen ohne MĂŒhe. Manchmal kam es aber auch vor, dass ein Elternteil – so weit ich mich erinnere, waren es immer VĂ€ter – das Ganze fĂŒr Humbug hielt und den Verdacht Ă€ußerte, die Augenbinden wĂ€ren undicht gewesen. Das traf die Kinder so hart, dass sie ihre neu entdeckten FĂ€higkeiten sofort wieder tief in ihrem Innersten vergruben und danach keinen Zugang mehr dazu finden konnten


Mehr ĂŒber die inneren Sinne erfuhren interessierte Erwachsene dann von dem Quantenphysiker Alexander Schatanov, der Seminare unter dem Titel „Bildung aus der Zukunft“ abhielt. Unser nĂ€chster Schritt war die Einrichtung einer BegegnungsstĂ€tte fĂŒr Freilernerfamilien in der Sonnenuhrgasse, wo spĂ€ter auch das Experiment Colearning Space seinen Anfang nahm. Der Versuch, bis zu 45 Kinder zwischen null und sechzehn Jahren gemeinsam frei sich bilden zu lassen, war ein waghalsiges Abenteuer! Bald ĂŒbersiedelte das Projekt in eine ehemalige Druckerei im 3. Bezirk, die unter Aufbietung beinahe ĂŒbermenschlicher organisatorischer und finanzieller Anstrengungen zu einer Kombination aus Colearning und Coworking Space ausgebaut wurde.

Selbstbestimmt lernen in Gemeinschaft

In den 5 Jahren, die ich am Rande mit dabei war, konnte ich bei diesem Projekt sehr viel lernen. Es zeigte mir, was große und kleine Kinder spielerisch miteinander und voneinander alles lernen, welche sozialen Spielregeln sie selbststĂ€ndig entwickeln und wie prĂ€zis sie durch ihr Verhalten spiegeln, was die Erwachsenen bewegt. Wenn es Schwierigkeiten gab, hatten diese meist mit Ängsten, SchwĂ€chen, falschen Erwartungen und persönlichen  Vorurteilen der Erwachsenen zu tun. Dazu kamen wie in fast allen privaten Lerngruppen drĂ€ngende finanzielle Probleme, Unstimmigkeiten unter den GrĂŒndern und natĂŒrlich der zunehmende Druck von Seiten der Behörden. Als es schließlich zum Bruch kam, bildeten einige aus dem Team an einem anderen Ort eine neue kleine Lerngruppe, die noch immer  existiert. Der Markhof ist heute ein beliebtes Seminarzentrum. Am Nachmittag bietet er Raum und Freizeitangebote fĂŒr ein soziales Kinderprojekt.

Ende 2017 publizierten zwei FreilernermĂŒtter mit mir gemeinsam das Buch LERNEN IST WIE ATMEN (eine 2. Auflage erschien 2023). Seither hat sich die TĂ€tigkeit des Vereins ScholĂ© mehr und mehr auf die UnterstĂŒtzung von Freilernerfamilien konzentriert, die mutig genug sind, den prĂŒfungsfreien Weg zu wĂ€hlen. Weil das in Österreich leider immer noch illegal ist, mĂŒssen sich die meisten dieser Familien mit langwierigen Gerichtsverfahren herumschlagen und werden regelmĂ€ĂŸig zur Zahlung von Verwaltungsstrafen verdonnert. Eine Mutter, von deren 4 Kindern nur eines frei lernte, hat ihre Strafe zweimal sogar im GefĂ€ngnis abgebĂŒĂŸt! Das zu Ă€ndern ist Ziel der Initiative „Freie Bildungswege“.

Frei sein lernen

Ich persönlich betrachte die Freilerner als Vorboten einer neuen Zeit. FĂŒr mich steht außer Zweifel, dass unser materialistisches Zeitalter, das von einem geistfeindlichen Leistungs-, Wachstums- und Kontrollwahn geprĂ€gt ist, sein Ablaufdatum bald erreicht haben wird. Mit den selbstbestimmten Menschenkindern, die heute heranwachsen, beginnt  eine Ära, in der das, was heute noch eine seltene Ausnahme darstellt, die Regel sein wird: Ein friedliches Miteinander selbstbestimmter Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft, verschiedener Begabungen, die sich ihrer Einzigartigkeit ebenso klar bewusst sind wie ihrer geistigen Verbundenheit. Solche Menschen sehnen sich nicht mehr nach FĂŒhrungspersönlichkeiten und trĂ€umen auch nicht von globaler Herrschaft. Sie finden ihre grĂ¶ĂŸte Freude und ErfĂŒllung darin, dem Leben in allen seinen Formen zu dienen.

Was wir brauchen, um diesen Zustand zu erreichen, bringt der Titel eines kĂŒrzlich erschienenen TAU-Sonderheftes zum Thema Bildung auf den Punkt: FREI SEIN LERNEN. Zwei Mitarbeiterinnen des TAU-Magazins, eine Freilernermutter und ich bereiten gerade  eine Veranstaltung vor, die ebenfalls unter dem Motto FREI SEIN LERNEN steht. Dabei wird uns bewusst, wieviel wir selbst da noch zu lernen haben! Die Veranstaltung soll zu FrĂŒhlingsbeginn, am 22.3.2024 im Dachsaal der Urania-Sternwarte stattfinden und Menschen zusammenbringen, die als Teilnehmende und Teilgebende ihre materiellen und immateriellen Ressourcen einbringen und einander damit gegenseitig beschenken und inspirieren wollen. Solltest du dich zu dieser Feier gerufen fĂŒhlen, dann melde dich bitte unter aterzicauer@gmail.com bei mir!

Uns allen wĂŒnsche ich Muße fĂŒr Herz und Geist!
Alexandra

Scholé-Nachrichten

Alexandra Terzic-Auer, geb. 1952. Nach interdisziplinĂ€ren, nie abgeschlossenen Studien war ich viele Jahre als Verlagslektorin und Übersetzerin tĂ€tig. Kinder – meine eigenen und viele andere – haben meine Weltsicht nachhaltig erweitert, ebenso wie die Arbeit mit Kinesiologie und systemischen Aufstellungen. In der Freilerner-Bewegung sehe ich den Beginn eines Bewusstseinwandels, den ich mit meinem Projekt „ScholĂ© – Muße fĂŒr Herz und Geist“ freudig unterstĂŒtze, so gut ich kann. → www.schole.at

(Einzelne Hervorgebungen in diesem Beitrag von JJK.)