Die “Enthüllung” der ungeschwärzten RKI-Protokolle hat zu einer Sensation geführt. So jedenfalls ist der erste Eindruck nach der mündlichen Verhandlung von heute vor der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück im Klageverfahren einer Pflegehelferin gegen ein vom Landkreis Osnabrück 2022 mangels Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises ausgesprochenes Betretungs- und Tätigkeitsverbot. Die Kammer hat das Verfahren ausgesetzt und wird es nunmehr dem Bundesverfassungsgericht vorlegen und ihm die Frage stellen, ob § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG, in der Fassung vom 18. März 2022) mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar gewesen sei.
Allerdings ist höchst fraglich, was diese Entscheidung bedeutet, und welche Folgen sie nach sich ziehen wird.
Für anwesende Beobachter im Saal dürfte bereits die einschränkende Bemerkung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts, Dr. Neuhäuser, eingangs der Verhandlung einen Wink mit dem Zaunpfahl enthalten haben. “Dies ist kein Corona-Tribunal”, machte dieser mit einer “kleine Ansage” genannten Klarstellung deutlich. Es gehe auch nicht darum, das Bundesverfassungsgericht zu kritisieren, welches am 27. April 2021 die Verfassungsmäßigkeit des Bundestagsbeschlusses zur Änderung des Infektionsschutzes bekräftigt hatte. Vielmehr gehe es darum, die Anwendbarkeit des Gesetzes “für die Zukunft” auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen!
Dies deutet daraufhin, dass in der Tat dem RKI die Rolle des “Sündenbocks” zugedacht sein könnte, während Regierung, besonders aber der Deutsche Bundestag weitgehend freigesprochen werden könnten, da sie “Anlass hatten, auf die Unabhängigkeit des RKI zu vertrauen”.
Der neue RKI-Präsident Dr. Lars Schaade, der bereits unter seinem Vorgänger Wieler als Vertreter im Amt war und auch den RKI-Krisenstab leitete, dessen Protokolle nun zur Grundlage dieser Entscheidung geführt haben, machte vor der Kammer keine gute Figur. Er kam in Begleitung eines “Zeugenbeistand” genannten Anwalts der Berliner Prominenten-Kanzlei Raue LLP, der ihm des öfteren Bemerkungen zuflüsterte oder Zettel zuschob.
Inhaltlich bemühte sich Schaade in seiner mehr als zweistündigen Befragung sichtlich darum, die Bedeutung der Protokolle herunterzuspielen (“Einzelmeinung eines Mitarbeiters”) und das RKI als Behörde darzustellen, die der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit unterliege, welches für das “Management der Pandemie” das Recht habe, die Einschätzungen des RKI zu befolgen oder aber abzuändern. “Selbstverständlich” habe es des öfteren auch Einflussnahmen in Form von Weisungen gegeben.
In dieser Hinsicht hat sich Schaade möglicherweise genau so verhalten, wie er sich verhalten musste, damit der Debattenraum weiterhin auf das “mangelhafte Management der Pandemie” eng begrenzt wird, ohne den eigentlichen Kern der Problematik – die Hürde für das Ausrufen einer Pandemie und die damit verbundenen Hürden für die Beschneidung von Grundrechten überhaupt nur zu beleuchten!
Und in eben dieser Hinsicht ist es ein schweres Versäumnis von vermeintlichen Kritikern wie Professor Stefan Homburg und anderen, die Skandaltrommel mit großer Lautstärke weiter nur in jenen Bereichen zu rühren, die das eigentliche Problem unangetastet lassen.
Dabei hat auch die Begründung des Osnabrücker Verwaltunsggerichtspräsidenten klar gemacht, dass es eine Pflicht gibt, die Notwendigkeit und das tatsächliche Vorliegen ursprünglich angenommener wissenschaftlicher Bewertungen kontinuierlich zu überprüfen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der schwere der vorgenommenen Grundrechtseinschränkungen.
Weiterlesen im Originaltext: https://alschner-klartext.de/2024/09/03/das-management-der-pandemie-vor-gericht-aber-nicht-die-grundsatzfrage/