Vor einigen Jahren saß ich während der Hauptverkehrszeit in einem Linienbus in New York City fest. Der Verkehr kam kaum voran. Der Bus war voll mit kalten, müden Menschen, die zutiefst verärgert übereinander und über die Welt an sich waren. Zwei Männer schimpften über einen Schubser, der vielleicht absichtlich war, vielleicht auch nicht. Eine schwangere Frau stieg ein, und niemand bot ihr einen Sitzplatz an. Wut lag in der Luft; hier würde es keine Gnade geben.
Doch als sich der Bus der Seventh Avenue näherte, meldete sich der Fahrer über die Sprechanlage. „Leute“, sagte er, “ich weiß, dass Sie einen harten Tag hinter sich haben und frustriert sind. Ich kann nichts gegen das Wetter oder den Verkehr tun, aber ich kann Folgendes tun. Wenn ein jeder von Euch aus dem Bus aussteigt, werde ich Euch die Hand reichen. Wenn Ihr vorbeigeht, legt Eure Sorgen in meine Handfläche, okay? Nehmt Eure Probleme heute Abend nicht mit nach Hause zu Euren Familien, sondern lasst sie einfach bei mir. Meine Route führt direkt am Hudson River vorbei, und wenn ich später dort vorbeifahre, werde ich das Fenster öffnen und Eure Sorgen ins Wasser werfen.“
Es war, als hätte sich ein Zauber gelöst. Alle brachen in Gelächter aus. Die Gesichter strahlten vor überraschter Freude. Leute, die in der letzten Stunde so getan hatten, als würden sie die Existenz der anderen nicht bemerken, grinsten sich plötzlich an: Meint der Typ das ernst?
Oh, es war ihm ernst.
An der nächsten Haltestelle streckte der Fahrer, wie versprochen, seine Hand mit der Handfläche nach oben aus und wartete. Einer nach dem anderen legten alle aussteigenden Pendler ihre Hand genau über seine und mimten die Geste, etwas in seine Handfläche fallen zu lassen. Manche lachten dabei, manche weinten, aber alle taten es.
Auch an der nächsten Haltestelle wiederholte der Fahrer dieses schöne Ritual. Und bei der nächsten. Den ganzen Weg bis zum Fluss.
Wir leben in einer schwierigen Welt, meine Freunde. Manchmal ist es besonders schwierig, ein Mensch zu sein. Manchmal hat man einen schlechten Tag. Manchmal hat man einen schlechten Tag, der mehrere Jahre andauert. Man kämpft und scheitert. Man verliert Arbeit, Geld, Freunde, Glauben und Liebe. Man wird Zeuge von schrecklichen Ereignissen in den Nachrichten, und man wird ängstlich und zieht sich zurück. Es gibt Zeiten, in denen alles in Dunkelheit gehüllt zu sein scheint. Wir sehnen uns nach dem Licht, wissen aber nicht, wo wir es finden können.
Was aber, wenn Du das Licht bist? Was ist, wenn Du genau derjenige bist, der eine dunkle Situation erhellt, nach der man sich sehnt? Das ist es, was mich dieser Busfahrer gelehrt hat: Dass jeder in jedem Moment das Licht sein kann. Dieser Mann war kein mächtiger Mensch. Er war kein spiritueller Führer. Er war kein mediengewandter Influencer. Er war ein Busfahrer, einer der unsichtbarsten Arbeiter der Gesellschaft. Aber er besaß echte Macht, und er setzte sie wunderbar zu unserem Nutzen ein.
Egal, wer Du bist, wo Du bist oder wie banal oder schwierig Deine Situation auch erscheinen mag, ich glaube, dass Du Deine Welt erleuchten kannst.
In der Tat glaube ich, dass dies der einzige Weg ist, wie die Welt jemals erleuchtet werden kann, ein heller Akt der Gnade nach dem anderen, den ganzen Weg.
~ Elizabeth Gilbert ist die Autorin von zehn Büchern – darunter EAT PRAY LOVE und BIG MAGIC: KREATIVES LEBEN jenseits der Angst, die sich insgesamt weltweit über 25 Millionen Mal verkauft haben.