
Ich bin’s gewohnt, dass die Katastrophe über mir hereinbricht, dunkle Zeiten, Schmerzen, Entbehrung. Ich hab es tausendfach erlebt, dass das, was möglich wäre, nicht gelebt werden kann. Dass es einzig meine Wahrheit im Herzen bleibt. Ich meine mit gewohnt nicht, dass ich davon ausgehe. Ich meine mit gewohnt, dass ich es vielfach erlebt habe und damit umgehen kann, dass es mich nicht erschüttert, dass ich standhaft darin bin, bei mir bleibe.
Ich bin es gewohnt, nicht verstanden zu werden, alleine zu sein mit meiner Wahrheit, mit meinen Werten, mit meiner Tiefe, mit dem vielen Fühlen und Sehen. Ich kenne es, weit und breit die Einzige zu sein, die innerlich dazu verpflichtet ist, wahrhaftig zu sein. Nicht lügen zu können, nicht betrügen zu können, nicht manipulieren zu können, nicht zu meinem persönlichen Vorteil handeln zu können. Fuck integer sein zu müssen und alle anderen müssen es offenbar nicht, können an sich und ihrer innersten Wahrheit vorbei. Ich kenne das alles nur zu gut. Das alles sehenden Auges und fühlenden Herzens zu erleben ist mir nicht neu. Bei vollem Bewusstsein, wissend, was da gerade geschieht.
Ich kann improvisieren. Ich bin mir selbst genug. Ich kann Krisen blind meistern. Ich weiß, was es heißt, alleine Schmerzen zu erdulden, Heilungsprozesse durchlaufen zu lassen, nur das Nötigste zu haben. Eben zu überleben. Auf mich allein gestellt. Ich kenn das alles. Die Aussicht darauf bedroht mich nicht. Es wäre einfach ein weiteres Mal von dem, was ich eh schon kenne.
In den letzten Stunden ist etwas in mir gestorben. Obwohl mein Gefühl ist, dass jetzt die Zeit ist, das mögliche Potential zu leben und erlösende Erfahrungen zu machen (was ich ja schon mache), muss ich in Erwägung ziehen, dass ich wieder der Zeit voraus bin, dass es wieder in diesem Leben eben nichts wird, dass es wieder eben nur die Wahrheit im Herzen bleibt. Dass ein weiteres Leben die Dunkelheit bleibt um mich herum oder eben wieder noch größer wird. Dass ich ein weiteres Leben allein um das Licht weiß und die von denen ich dachte, dass sie auch darum wüssten, wieder mit in der Dunkelheit versinken. Vergessen, wer und was sie sind. Ein weiteres Mal „Es hätte so schön sein können“. Ein weiteres Mal, bei dem ich in jedem Moment damit rechnen muss, alleine zu sein oder gar angefeindet, missverstanden, weggesperrt, getötet zu werden. Es könnte wieder passieren. Ja.
Und tatsächlich durfte ich merken, es macht mir keine Angst. Wenn es so wäre, wäre es so. Ich kenne es. Ich kann es. Es reicht tatsächlich, wenn ich um mich weiß, um Gott, darum, wie es gedacht ist. Mich selbst werde ich niemals verlieren und falls doch, ist auch das so.
Natürlich kann ich mir Schöneres vorstellen. Natürlich dachte ich, ich würde es erleben. Natürlich weiß ich was gehen könnte. Ich kenne nicht viele, die größer im Sinne von allumfassender denken können, als ich. Eigentlich ist mir noch keiner begegnet. Und gleichzeitig kann es in diesem Leben mal wieder ganz anders sein. Es kann sein, dass die Welt, wie ich sie im Herzen trage, wieder nicht erfahrbar sein wird und das, was schon davon erfahrbar war, wieder verschwindet.
In mir ist es ruhig. Der Tod scheint gestorben. Viel alter Schmerz ist geflossen. Da ist gerade kein Wollen. Kein Hinstreben zu etwas. Keine Idee davon, etwas zu initiieren, auf die Beine stellen zu wollen. Nichts. Einfach nichts. Ein schönes Nichts, wie ich finde. Es fühlt sich nach sweet surrender an. Wirklich sweet. Gar nicht bittersweet. Es ist kein Aufgeben im Sinne von Verzagen und Verbittern. Einfach irgendwie nüchtern und etwas tief in mir ist befriedet.
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