Wir wurden aus dem Paradies vertrieben. Irgendwann ganz früh in unserer Kindheit erlebten wir die krasseste Enttäuschung überhaupt. In einem Moment unserer höchsten Freude, im schönsten Spiel, in der tiefsten Geborgenheit wurden wir unterbrochen, gemaßregelt, ausgeschimpft. Uns wurde gesagt, dass das falsch ist. Dass sich das nicht gehört. Das Leben so nicht geht. Dass wir etwas verkehrt gemacht haben. Dass wir anders sein müssten, uns anders verhalten. Dass wir so nicht gut genug sind.
In unserer ganzen Unschuld glücklich seiend, wurden wir jäh gestoppt und bis ins Mark erschüttert, vielleicht sogar bestraft für etwas, das uns gänzlich als gut vorkam, weil es so viel Spaß machte.
Ab da haben wir die Welt nicht mehr verstanden, denn wir haben gelernt, dass wir unserem guten Gefühl, der Freude nicht trauen können. Dieses gute Gefühl hat uns heftig in Schwierigkeiten gebracht.
Uns blieb nichts anderes übrig als ab sofort die Erwachsenen „zu lesen“. Wir mussten uns an ihnen orientieren, weil unser eigenes Gefühl ja nicht zu stimmen schien. Wir haben uns verlassen. Wir wurden zu Meistern der Anpassung und haben versucht seismografisch die Stimmungsveränderung unseres Umfeldes zu lesen.
Nochmal wollten wir nicht so unvorbereitet vom Sturm der Strafe getroffen werden. Uns blieb nichts anderes übrig als uns von der Freude und der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit zu verabschieden. Sie waren zu gefährlich. Wir konnten ihnen nicht mehr trauen. Ab sofort waren wir wachsam. Sehr wachsam. Immer auf der Hut. Immer mit mindestens einem Auge ins Umfeld schielend, wie unser Tun und Sein so ankam.
Da ging es hin, das Paradies. Die nächste heftige Enttäuschung, Erschütterung folgte auf dem Fuß. Unser System rebellierte in regelmäßigen Abständen gegen dieses Korsett. Wir wurden wütend, weil alles in uns schrie, dass das Leben so nicht gedacht war, dass wir so nicht gedacht waren. Und wieder wurden wir für falsch erklärt. Unsere Eltern, unsere Bezugspersonen wollten uns mit diesen heftigen Gefühlen, mit den Wünschen und Sehnsüchten, mit unserer Revolte nicht haben. Sie wollten nichts davon wissen, konnten uns so nicht aushalten, nicht mehr beherrschen, waren selbst überfordert von der eigenen Ohnmacht und setzten alles daran, dass wir mit der Wut, mit Weinen und Schreien aufhören. Zur Not wurden wir sogar weggeschickt, bis wir wieder „normal“ waren.
So geschah es, dass wir unserem Bauchgefühl misstrauten und unsere „heftigen, negativen“ Gefühle unterdrückten. Mit all der Enttäuschung alleine gelassen, verlassen und vom Schmerz darüber ebenfalls überfordert, blieb uns nichts weiter übrig, als einen erheblichen Teil von uns abzuspalten. Alles Unerwünschte und zu Heftige wurde weggepackt. Eine Strategie, die unser Überleben gesichert hat. Als Kind.
Wen wundert es, dass wir als Erwachsene immer noch glauben, unserer Intuition nicht trauen zu können? Dass wir in Teufels Küche kommen, wenn wir sorglos der Freude folgen? Wen wundert es, dass wir glauben, die anderen halten uns nicht aus, wenn wir wirklich alle unsere Gefühle zeigen? Allen voran die Wut.
Es ist an der Zeit wieder ins Paradies zurückzukehren. Wir hatten recht als Kind, als wir leichtfertig aus dem Bauch heraus gehandelt haben. Wir hatten recht mit unserer Wut, als uns genau das verboten wurde. Die anderen haben uns die Lügen erzählt und wir haben angefangen, ihnen zu glauben.
Rücken wir die Dinge wieder gerade. Sagen wir unserem kleinen Mädchen, unserem kleinen Jungen von damals, dass mit ihnen alles gestimmt hat, dass sie nichts falsch gemacht haben. Lassen wir sie wieder frei. Lassen wir sie wieder ins Paradies. Sie haben damals gewusst, wie Leben geht. Lassen wir es uns von ihnen zeigen.
Erinnern wir uns, dass unser Verhalten, das uns damals antrainiert wurde, überholt ist. Erinnern wir uns, dass es nicht stimmt, dass wir sterben, wenn wir verlassen werden. Erinnern wir uns an unsere Freude, an unsere Freiheit und daran, dass wir erwachsen sind und es niemandem mehr recht machen müssen außer uns selbst. Wachen wir auf! Holen wir uns das Paradies zurück! Es ist unser Geburtsrecht. Holen wir uns uns selbst zurück!
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